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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Doch wenn das Salz weggeschwemmt
war, wuchs das Gras nur umso dichter. Das Salzwasser schwamm oben, verstehst du?, und das Süßwasser blieb darunter ...«
    Zwischen den Illustrationen ragten die alten Seiten wie steiluferige Inseln auf, mit fremdartigen Buchstaben und Wörtern wie mit Palisaden bewehrt, und wo die Schrift blasser erschien, war sie so schwer zu entziffern wie die Spuren von Vogelkrallen. Er las, bis ihm die Augen zufielen. Doch als sein Kopf sich senkte, war ihm, als röche er durch den kreidigen Staub der Seiten hindurch den herben Geruch von Pflanzensaft oder den betäubenden Duft der Blüten aus den Obstgärten voller Pflaumen und Birnen und Äpfel.
     
    Der Sommer wurde heißer. Im Gottesdienst saßen die Bibelschüler als dunkelgewandeter enggedrängter Haufen beieinander. Als ein rotgesichtiger Pater Hole das Bierfest ankündigte und die Geschichte Sankt Clodocks erzählte, wurde Gemurmel unter Marpots Getreuen laut. Doch der Priester schien nicht zu bemerken, dass sie spöttelten oder Aaron Clough sich bekreuzigte. Pater Hole schwankte leicht, während die übrigen Dörfler sich Luft zufächelten und lächelten, wenn Old Holy über die Wörter stolperte.
    Jeden Morgen ballten sich finstere Wolken über den Berggraten und zogen über das Tiefland. Doch wenn die Sonne am Himmel emporstieg, verglommen sie zu Rauchwölkchen, die sich kräuselten und dann auflösten. Die Hitze setzte sich in Wänden und Mauern fest und sank in den Boden ein. Auf dem Zwei-Morgen-Feld reichte das Getreide kaum bis zu den Knien der Vogelscheuche. Das Wasser in dem neuen Brunnen sank so tief, dass ein Stein, der hineinfiel, fast kein Geräusch machte. Die roten Gesichter der Bibelschüler in der heißen Kirche blickten mürrisch. John, der neben seiner Mutter saß, sah verstohlen zu Marpot zurück. Der Mann ignorierte ihn, schien John und seine Mutter gar nicht wahrzunehmen. Er stand hinten in der Kirche, als hätte er die anderen nicht angeführt bei ihrem Sturm auf die Wiese; seine blonden Haare hoben sich hell vom schlichten Schwarz seiner Kleidung ab, seine unverwandt starrenden blauen Augen wachten über seine Anhänger.
Mit der Ankündigung des Bierfests war ein neuer Zwist zwischen den Bibelschülern und den anderen Dörflern entflammt. Als John am Sonntag Rogate aus der Kirche trat, blickte er nach Westen und sah eine schwarze Kette von Gewitterwolken den Bergkamm berühren. Er wollte es seiner Mutter sagen, als er Jasper Riveretts Stimme hörte.
    »Sieht aus, als wäre ein Schwarm Krähen hergeflogen«, sagte der Mann laut, als die Bibelschüler nach draußen kamen.
    »Krähen aus Zoyland«, fügte Dando Candlings Vater hinzu.
    »Geht ihr mit uns ums Dorf herum?«, lud Meg Riverett die dunkelgekleidete Gruppe ein. »Kommt ihr zum Bierfest?«
    Marpot blickte starr geradeaus, als könnte er sie nicht hören, doch Mercy Starling, die neben ihm stand, wendete ihr verhärmtes Gesicht Meg zu.
    »Bierfest? So nennst du das? Hör seinen wahren Namen, Meg. Es ist ein Hexensabbat«, schrie sie.
    Die Bibelschüler blieben stehen. Die Riveretts und Candlings scharten sich um Jasper.
    »Warte nur, bis sie kommt«, schrie Mercy Meg an. »Ich hab’s erlebt. Ich hab’s erlebt mit unserer Mary. Zuerst packt einen das Fieber. Dann kommen einem die Eingeweide hoch. Und man kotzt, bis man sich die Seele aus dem Leib spuckt.«
    Die Dörfler umringten die zwei Frauen.
    »Kotzen?«, John sah, dass Meg die Augen verdrehte. »Klingt wie unser Jasper letzte Nacht.«
    Die Dörfler um sie herum lachten. Doch Lee Fisheroake von den Bibelschülern zeigte vorwurfsvoll mit dem Finger auf sie.
    »Eine Hexe ist kein Scherz, Meg Riverett«, sagte er. »Wer Gott lästert, den wird Gott strafen!«
    »Und wofür strafen?«, rief Rose Cullender herausfordernd. »Wir haben nichts Böses getan.«
    »Ist es nichts Böses, einer Hexe ein Mahl zu bereiten?«, erwiderte Lee. »Klingt, als wären ihre Kobolde mit dir ins Bett gekrochen, Rose.«
    »Was fällt dir ein!«, schrie Rose.

    »Wer Geister beschwört, soll des Todes sterben«, erklärte Aaron Clough. »Das hat Moses gesagt.«
    »Sterben, Bruder Aaron?«, gab Jasper Riverett zurück. »Was Moses betrifft, kenn ich mich nicht so aus, aber unsere alte Hexe hat sich seit geraumer Weile nicht mehr unter den Lebenden blicken lassen.«
    Einige Gemeindemitglieder kicherten. Aber Mercy gab nicht auf.
    »Unsere Mary auch nicht!«, kreischte sie so vehement, dass Jasper den Blick senkte. »Ihr alle habt

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