Das Festmahl des John Saturnall
gekleideter Gefolgsleute, die sich vor dem langgestreckten Haus bildeten. Wenn die letzten in weiße Laken gekleideten Gestalten hinausstolperten, war ihm, als könnte er das wüste Geschrei und das spöttische Gelächter hören, während der unglückliche Armesünder sich unter den langen Ruten der Bibelschüler duckte.
Abends wanderte er noch immer auf der Wiese umher und wartete auf Cassies Gesang. Doch in dem Häuschen der Starlings war alles still. Und wenn er nun ihren Gesang hörte, klang er leiser, wie er durch die ruhige Nachtluft zu ihm heraufschwebte. Er kam, begriff John, aus der Kirche.
Der sanfte Psalm streichelte die kahle Decke und die kahlen Wände. Er glitt an den Kirchenbänken entlang und wand sich um den dunklen Turm der Kanzel. Die Worte senkten sich auf die harten Steinfliesen. Cassies Herz weitete sich. Sie dachte an die Steinchen in ihrem Beutel, die sie gesammelt hatte. Sie kannte jeden einzelnen, wusste, wie weh sie taten, als sie nun mit ihrem ganzen Gewicht auf ihnen kniete. Sie hörte sie auf dem harten Fußboden knirschen.
Sankt Clodock hatte mit Axt und Fackel gegen die Hexe gekämpft. Er hatte ihre Tische aus Kastanienholz zerschlagen. Er hatte ihren Palast verbrannt. Und nun war die Hexe wieder da. Doch diesmal wartete Bruder Timothy auf sie. Cassie und er würden gemeinsam Sankt Clodocks Werk vollenden. Sie würden der Hexe eine strenge Prüfung auferlegen.
Cassie verstand sich auf strenge Prüfungen. Sie zog die Nadel aus ihrer Haube und führte ihre Spitze an ihren geschwärzten Nagel. Wie
immer führte sie sie langsam in das schmerzende Nagelbett. Hexen spüren keinen Schmerz, ermahnte sie sich. Sie bluten nicht. Als der erste Tropfen hervorquoll, begann sie zu beten.
Sie dankte für ihr Leben und für das ihrer Familien, der alten in dem Häuschen und der künftigen aus Bruder Timothy, den Cloughs und all den Übrigen. Sie betete darum, dass Abel und ihr Vater den Weg zum Paradies finden würden. Dass jedermann im Dorf seinen Weg dorthin finden würde. Jeder im ganzen Tal von Sir William bis zu Tom Hob.
Sie hatte Gott angefleht, er möge sie zu sich nehmen, nachdem Mary gestorben war, aber Gott hatte es ihr verweigert. Die Hexe habe sich unter ihnen versteckt, sagte Bruder Timothy. Das musste der Grund sein. Es gehörte zu Cassies Buße, sie ausfindig zu machen. Jeden Sonntag hatte sie am Rand der Wiese gebetet. Jeden Sonntag hatte sie Ausschau gehalten. Sie hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, als Gott ihre Gebete erhört hatte. Zuletzt hatte er ihr den gesandt, auf den sie wartete.
Sie erinnerte sich an sein Gesicht, erschrocken und blutig, das von der Viehtränke aufsah.
Der Schmerz, der von ihren Knien ausging, durchzog ihren Körper. Eine zweites Blutströpfchen lief zitternd an der Nadel entlang. An diesem Abend würde sie ein Dutzend von ihnen zählen, dachte sie. Von ihrem Winkel am Wiesenrand aus hatte sie John Sandall beobachtet, die winzige Gestalt, die sich weit oben bewegte. Und dann hatte sie die Frau gesehen, die durch die Dornen schritt. Die in Bucclas Wald verschwunden war. In jenem Augenblick hatte es keinen Zweifel mehr gegeben. Sie war aufgestanden und hatte ihre Röcke gerafft, in jeder Fiber von Gottes Aufgabe durchdrungen. Sie war zu Bruder Timothy gelaufen.
Eine dunkle Gestalt überragte sie dräuend. Im Augenblick darauf kniete der Mann neben ihr. Ihr war zumute gewesen, als müsste sie vor Scham vergehen, als er ihr das braune Wollkleid ausgezogen hatte. Sie sei ein Plappermaul, hatte er sie getadelt, dass sie sich so ungezwungen mit dem Sohn Susan Sandalls abgebe. Doch sie hätte tausend Bußübungen
auf sich genommen um dessentwillen, was folgte, als sie ihm erzählte, was sie gesehen hatte. Da hatte er ihr seine eigene Buße offenbart. Er sei taub gewesen für die Botin Gottes, hatte er ihr erklärt. Und dann blickten die blauen Augen des Mannes in ihre Augen.
»Bist du bereit, Schwester Cassandra?«
Ein vages Flimmern im Zwielicht, dachte John zunächst. Der Husten seiner Mutter war so schlimm geworden, dass er hinausgegangen war. Er stand auf der Wiese, den Wasserkrug in Händen. Hoch oben bewegte sich etwas am Berghang. Als er länger hinblickte, sah es aus, als flatterte ein zerfetzer weißer Wimpel zwischen den dunklen Dornenranken. Jemand stieg den Abhang hinunter. John stand vor der Tür der Hütte. Erst als die Gestalt die unterste Terrasse erreichte, erkannte er die Haube.
Cassie kam durch das hohe Gras. Doch als sie
Weitere Kostenlose Bücher