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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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blassgelben Flammen flackerten zuerst, züngelten dann und fraßen sich über das Dach.
    John sah, wie eine rote Flammengarbe in die Finsternis aufschoss. Die Dörfler um die Hütte waren eine dunkle Masse, die sich vorschob und zurückwich. Ihre Gesichter im Fackelschein musste er gar nicht sehen. Nicht nur Marpot und seine Betbrüder waren da, sondern alle Dorfbewohner: die Fentons und die Chaffinges und die Dares und die Candlings, all die Frauen aus den hinteren Kirchenbänken, die an ihre Tür geklopft hatten, und ihre Kinder auch. Als wäre Ephraims Gesicht mit den dicken Brauen den Gesichtern Seths und Dandos und Tobits aufgeprägt worden. Nur Abel hatte ihn nicht im Stich gelassen, sondern
war in seinem Bett am Fieber gestorben. Das Feuer breitete sich aus, und es war John, als glitten die Flammen durch seine Adern, als durchflösse ihre Hitze seinen ganzen Körper. Er hatte recht gehabt, dachte er. Er und Ephraim hatten beide recht gehabt. Sie gehörten nicht hierher. Sie hatten nie hergehört.
    Er sah zu seiner Mutter auf, voll neuen Zorns. Doch sie hielt die Hände vor den Mund gepresst, mit weit aufgerissenen Augen. Unten brannte die Hütte lichterloh, und Rauchgeruch hing schwer in der Luft. John griff nach ihrer Hand.
    »Ma?«
    Doch sie schüttelte nur den Kopf und wendete sich ab.
    Sie kletterten weiter. Schon bald streckten die Dornenranken ihre dicken Arme aus. Die Tasche schlug ihnen gegen die Beine, als John und seine Mutter in das Dickicht eindrangen. Als sie die letzte stachelige Barrikade erreichten, schlang seine Mutter ihre Arme um ihn. John begriff, was sie vorhatte, und wehrte sich. Doch im nächsten Augenblick hatte sie ihn mit sich in das Dornendickicht gezogen.
    Die Dornen würden ihm die Haut zerreißen, wie bei Cassie, dachte er. Er zuckte zurück, als die ersten Ranken an seinen Beinen kratzten ... Aber Stengel und Blätter raschelten harmlos. Seine Mutter schien die Dornen mit so leichter Hand zu teilen wie Moses das Rote Meer. Als sie die Hecke überwunden hatten, sah er, dass er unversehrt war. Er staunte noch über das Wunder, doch seine Mutter nahm einen Stengel in die Hand, fuhr daran entlang und streifte die Dornen ab wie Erbsen aus der Schote.
    »Trugdorn«, sagte sie.
    John nickte und hob dann den Blick. Oben auf der Böschung, in tief gefurchte Rinde gehüllt, beugten sich die uralten Baumstämme von Bucclas Wald wie Säulen, die ein riesiges Gewölbe stützen. John scharrte einen Haufen trockener Blätter zusammen und legte sich neben seine Mutter. Tief unten brannte ihre Hütte, ein rotes Auge, das aus der Dunkelheit glomm. Tief in seinem Inneren spürte John seinen Zorn schwelen wie eine glühende Kohle.

     
    Eine Elster keckerte. Sonnenlicht glitzerte. John öffnete die Augen und blinzelte in dem grellen Licht. Einen seligen Augenblick lang fragte er sich, wie es dazu kam, dass er auf einem Bett von Blättern am Saum von Bucclas Wald lag. Dann entfachte seine Erinnerung die heiße Glut aufs Neue: das Geschrei und Gejohle, die Flammen, vertraute Gesichter, die zu einer psalmodierenden Masse verschmolzen. Ihm war, als setzte die rotglühende Kohle sich in seinem Inneren fest.
    Neben ihm schlief seine Mutter; ihre langen schwarzen Haare bedeckten den Boden wie ein Fächer. Als John sich aufsetzte, bewegte sie sich. Er sah den Abhang hinunter zu der dachlosen Behausung am Wiesenrand. Aus den geschwärzten Mauern stieg noch immer Rauch auf. Seine Mutter legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Du hast gesagt, wir gehörten hierher«, sagte er. »Wir gehörten hierher, mit mehr Fug und Recht als einer von ihnen.«
    »Das ist wahr«, antwortete sie.
    Als John sich umdrehte, sah er, dass sie sich weder für die Hütte noch für das Dorf interessierte. Seine Mutter ließ den Blick über das ganze Tal schweifen. Er folgte ihrem Blick, schaute über Hecken und Wäldchen und den Flusslauf entlang, bis dieser dem Blick entschwand. Da waren der Bergkamm und das Torhaus, da waren der Turm der Kapelle und das große Herrenhaus dahinter. Das Gutshaus von Buckland. Dann begann es ihm zu dämmern.
    »Du hast dort gedient«, sagte er.
    Seine Mutter rieb sich die geröteten Augen. »Ja, John. Dort habe ich gedient.«
    »Aber du bist zurückgegangen?«
    »Ich hatte keine andere Wahl.«
    Ein neues Rätsel, dachte er. Selbst jetzt.
    »Du hast gesagt, du würdest mich lehren«, sagte er.
    »Das werde ich«, antwortete sie lakonisch. »Komm.«
    Sie hob die Tasche auf ihre Schulter und wendete

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