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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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ihren Anfang genommen.
    »Ruhe da!«, bellte Aaron nun, als Connie Cullender ihr Gewicht verlagerte und einen Grunzlaut ausstieß. Marpots Anweisungen waren ganz präzise, das wusste Pater Hole. Kein müßiges Gerede. Kein Augenverdrehen. Für die Unbelehrbaren das Stockeisen neben der Tiertränke. Dort war Tom Hob gerade angekettet. Oder noch Ärgeres, dachte Pater Hole. Am Ende der Reihe von Büßern hielt Jake Starling den Blick auf den Boden gerichtet und bewegte die Lippen in stummem Gebet. Eines seiner Augen verschwand unter einer bläulichen Schwellung.
    Manche der Delinquenten mochten sich widerspenstig zeigen, hatte Bruder Timothy erklärt. Sie konnten bis zum Einbruch der Nacht vor dem Altar knien, während ihre Nachbarn Zeugnis von ihren Taten und Verfehlungen ablegten. Sie konnten bis zur Morgendämmerung oder sogar bis zum Vormittag Widerstand leisten. Doch zu guter Letzt würden sie der Buße teilhaftig werden und sich in das weiße Laken hüllen. Dann würden die Bibelschüler sich mit ihren langen Ruten versammeln und in Gelächter ausbrechen, bereit für den Spießrutenlauf zur
Kirche. Sie hatten Gott verspottet, erklärte Marpot. Und nun verspottete Gott sie.
    Pater Hole senkte den Blick zum Boden. Es war die Stelle, wo John Sandall den Palmbaum gezeichnet hatte, wobei die Hand des Jungen stärker zitterte als seine eigene vor dem ersten Schluck am Vormittag. Wie lange war es inzwischen her, dass Susan Sandall in das Dorf zurückgekommen war? Elf Jahre? Er entsann sich, wie sie nach dem Tod Lady Annes wieder aufgetaucht war, als die Kirche auf Anordnung Sir Williams schwarz verhängt worden war und als das Kind Susans Bauch gewölbt hatte. Der Junge, der später zur Kreide gegriffen hatte. Vor einer Woche erst hatten sie ihm von der Tür der Hütte aus nachgeblickt und zugesehen, wie er über die Wiese gewandert war. Was mit dem Jungen geschehen würde, hatte sie wissen wollen. Sie hatte ihm ein Versprechen abgerungen, das er widerwillig gewährt hatte. Jetzt lastete es ihm auf dem Gewissen. Er fühlte sich müde. Und durstig.
    Draußen war die Luft feucht. Tom Hobs Schnarchen war über den Dorfanger hinweg zu hören. In Marpots Haus brannten Lichter, doch in den anderen Häuschen war es dunkel. Einige hatten Kreuzdorn über ihrem Türsturz aufgehängt, bis Bruder Timothys Männer ihn heruntergerissen hatten. Die alten Bräuche, dachte Pater Hole. Die alten Ängste.
    »Nur diejenigen, die reinen Geistes sind, können sie erkennen«, hatte ihm der Mann mit den blauen Augen erklärt, flankiert von Aaron Clough und seinem verdrießlichen Sohn Ephraim. »Deshalb sind die Unschuldigen ihre Beute. Sie sollen sie nicht in ihrer wahren Gestalt erkennen. Denn ein Kind würde sie erkennen, Pater. Denken Sie an meine Worte ...«
    Aber Pater Hole dachte an den gebeugten alten Mann in seinem blauen Kittel. Hätte er Einfaltspinsel geschlagen? Oder alte Frauen gezwungen, stundenlang auf dem Boden zu knien? Hätte er ihnen eine Hexe geschickt, die ihre Kinder vergiften sollte? Über vier Jahrzehnte hinweg drang das Geräusch von zerspringendem Glas an die Ohren Pater Holes.

    Lächerlich, ermahnte er sich streng. Sein Aufseher war kein Zoyland-Eiferer. Die Krankheit würde vergehen. Was er Susan Sandall versprochen hatte, würde hinfällig sein. Er stand allein am Rand des verwaisten Dorfangers.
    »Der Palmbaum grünet«, murmelte er. Dann wendete er sich um und machte sich auf den Weg nach Hause.
     
    Die Krankheit sprang von Haus zu Haus, vor und zurück durch das ganze Dorf. Die Kinder, die sie überfiel, litten zuerst an brennendem Fieber. Dann kam das Übergeben. Wie Mercy Starling vorausgesagt hatte. Zuletzt, so erfuhr John von seiner Mutter, wanden sie sich wie Würmer am Haken.
    Nach Mercys Ausbruch hatte Johns Mutter ihm verboten, ins Dorf zu gehen. Vormittags wanderte er die Berghänge entlang, bis ihn die einsetzende Nachmittagshitze über die Wiese zum Buchenhain hinuntertrieb. Dort wartete er und lauschte.
    Manchmal saß er den ganzen Nachmittag im Schatten. An anderen Tagen dauerte es nur einige Augenblicke, während denen er lauschte und hin und wieder den Abhang hinunterspähte. Dann raschelte es in der Hecke. Die Büsche wurden auseinandergedrückt. Nacheinander kamen die Gesichter zum Vorschein.
    Dando riss von zu Hause aus, so oft er konnte. Für Seth war es schwieriger, weil seine Ma ihn jeden Nachmittag in die Kirche schleppte. Tobit kam, wenn er Lust hatte. Die Jungen ließen sich an der

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