Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
ein dräuender Überhang aus verschmutztem Zinn, der schneller zu schwellen und zu wachsen schien, als sie arbeiten konnten. Zuletzt blieb nur noch eine schmale Fläche, auf der die beiden Jungen mit den Näpfen hantierten, sie auskratzten und in das von grauem Schaum gekrönte Wasser warfen. Jeden Augenblick drohte der wackelige Turm über ihnen zusammenzubrechen. Solange sie arbeiteten, sagte sich John, konnten sie die haferschleimigen Porridgenäpfe auf Distanz halten ... Und dann kamen die ersten Kochtöpfe.
    Sie hatten den Mut verloren, gestand John sich danach ein. Er und Philip hatten weitergeschabt, aber sie kämpften auf verlorenem Posten. Die Töpfe hatten obsiegt. Und dann hatte Mister Stone das Heft in die Hand genommen.
    »Ihr fallt zurück«, hatte er tadelnd gemurmelt und John den Spachtel aus der Hand genommen. »Kümmert euch sofort um diesen Stapel.«
    Mister Stone machte sich an die Arbeit. Sein großer ungelenker Körper drehte sich zwischen Geschirrstapel und Bottich hin und her. Unermüdlich kratzte und schabte er. Seine Bewegungen wirkten gemächlich, aber der Stapel wurde kleiner. Zuletzt, als nur noch eine Handvoll Teller und eine riesengroße Sauciere mit einem dünnen Schmutzfilm übrig waren, trat Mister Stone beiseite. Philip und John kratzten die letzten Gefäße aus und taumelten dann zur Vorbereitungsbrigade hinüber, um ihr eigenes Frühstück zu verzehren.
    »Wir müssen da raus«, sagte Philip, als er kalten Porridge löffelte.
    »Es wird besser werden«, sagte John.

     
    Es wurde schlimmer.
    Das Nachtmahl war ein dampfendes Chaos, in dem die Stapel aus Tellern, Platten und Näpfen unaufhaltsam wuchsen. Diesmal griff Mister Stone nicht ein. Die anderen Spülköche spülten und schrubbten schweigend, ohne ein Wort an die Jungen zu richten. »Sie wissen, dass wir nicht lange hierbleiben werden«, erklärte Philip zuversichtlich, als sie abends in die Küche zurückstapften.
    »Richtig. Du kommst nämlich in das Armenhaus von Carrboro.«
    Coake stand mit Barlow und Stubbs zusammen. Er verzog spöttisch die Miene, als John und Philip an ihnen vorbeitrotteten, doch beide waren zu erschöpft, um zu reagieren. Unter einem Tisch holten sie ihren Strohsack hervor. Und ihnen war, als hätten ihre Köpfe kaum den groben Kattun berührt, als Scovells Schöpfkelle schon wieder den Kessel erdröhnen ließ.
    Die Tage vergingen in einem Wirbel klirrender Teller, rauschender Wassergüsse und unablässigen Schabens. Philip organisierte nun einen reibungslosen Ablauf. »Die halbe Zeit vergeuden wir damit, hin und her zu springen. Du schabst jetzt hier, und ich trage die Teller her ...«
    Zu Johns Überraschung bewährte sich die neue Ordnung. Sie stopften ihr Essen noch immer schnell in sich hinein und schliefen dann wie betäubt auf dem Fußboden der Spülküche, doch inzwischen sahen sie dem nächsten Ansturm nicht mehr in banger Furcht entgegen, sondern nur zu Tode erschöpft. In der Spülküche erwartete einen nichts als Schmutzwasser und Schrubben. Nichts wurde gesprochen außer den Rufen: »Los, wascht!«, und einem lauten: »Motte!«, aus dem Mund Mister Stones, wenn der Wasserzufluss versiegte. Dann stakste der Leiter der Spülküche hinaus, um sich den Gärtner vorzuknöpfen, während Töpfe und Teller sich in den Bottichen ansammelten. Durch das Fenster sahen John und Philip die Stiefel ihres Vorgesetzten über Kies und Gras des Rosengartens stapfen. Grimmige Worte wurden getauscht, und das Wasser floss wieder.
    Mittags rief die Glocke der Kapelle die Jungen zum Essen. Ein zweites Glockenläuten am späten Nachmittag rief zum Nachtmahl. John
trank Dünnbier vom Fass. Er schluckte das schale und bittere Getränk in kräftigen Zügen. Er riss sein Brot in Stücke, stopfte sich die Brocken in den Mund und kaute wie verrückt. Als er aufblickte, sah er, dass die anderen Jungen ihn anstarrten.
    »Weil du so isst«, sagte Philip später zu ihm.
    »Und wie esse ich?«
    »Wie ein ausgehungerter Wolf.«
    Danach kaute er langsamer. Die Arbeit wurde nicht leichter, doch wenn Philip sich über das dreckige Wasser beschwerte, das sie durchnässte, oder über die Näpfe und Teller, die über ihnen zusammenzubrechen drohten, dann entsann sich John, wie die Kälte in Bucclas Wald mit ihren eisigen Fingern seine Knochen gezwickt, wie sein Bauch geschmerzt und wie das Läusepack seine Kopfhaut malträtiert hatte. Wie die Stimme seiner Mutter ihn durch den dunklen Wald verfolgt hatte.
    Wir begehen das Fest.

Weitere Kostenlose Bücher