Das Festmahl des John Saturnall
behauptet, die ganze Ortschaft wäre vor die Hunde gegangen.«
»Wer war das?«
»Hab seinen Namen nicht gehört. Er hat in den alten Obstgärten gearbeitet. Obstbäume durch Pfropfen veredelt.« Mit einem Kopfnicken deutete Ben auf den Kastanienwald.
»Obstgärten?«, fragte John. »Da drinnen?«
»Ganz schön heruntergekommen«, sagte Ben. »Tragen alle zur völlig falschen Jahreszeit. Und die Äpfel sind nicht viel größer als Kirschen. Ausreißen, hab ich empfohlen. Aber davon will Sir William nichts wissen. Wären schon genauso lange hier wie das Gutshaus, hat der Obstgartenmann mir erzählt ...«
Philip sagte nichts, als sie zur Küche zurückgingen. Doch als sie die Spülküche betraten, wendete er sich John zu.
»Dieser Ben Martin hat von Buckland gesprochen.«
»Und?«
»Ich dachte, du hättest gesagt, du kämst aus Flitwick?«
»Buckland oder Flitwick, wo ist da der Unterschied?«, erwiderte John. Er nahm den Deckel von einem Topf auf dem langen Tisch und begutachtete die Essensspuren im Topfinneren.
»Was wollte er damit sagen, dass der Ort vor die Hunde gegangen ist?«, fragte Philip beharrlich weiter.
»Das, was er gesagt hat«, antwortete John.
Philip dachte darüber nach. »Du warst nicht mit Josh Palewick unterwegs, stimmt’s?«
John sah auf. »Wie?« Was scherte sich Philip darum, wie er hergekommen war? Aber Philips üblicherweise heitere Miene hatte sich verfinstert.
»Du hast mich angelogen«, sagte Philip.
»Angelogen?«
»Wer hat dir die Küchenräume gezeigt?«, fragte Philip.
»Ich hab dich nicht drum gebeten, dass du sie mir zeigst«, gab John zurück.
»Werde vielleicht in den Haushalt aufgenommen. Das hast du gesagt. John Saturnall mit seiner sagenhaften Nase. Das war auch gelogen, oder?«
John spürte Zorn in sich aufsteigen.
»Sie haben uns weggejagt, jawohl!«, brauste er auf. »Sie haben meine Mutter als Hexe beschimpft. Sie haben unser Haus abgebrannt. Der Priester hat Josh dafür bezahlt, dass er mich mitnimmt. Zufrieden?«
John spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Aber Philip schüttelte störrisch den Kopf.
»Was soll das sein? Ein neues Lügenmärchen?«
»Denk doch, was du willst«, erwiderte John giftig. »Mich kümmert es nicht.«
»Natürlich nicht.« Philip funkelte ihn wütend an. »Du brauchst keinen Philip Elsterstreet mehr, nicht wahr? Du brauchst überhaupt niemanden.«
John ballte die Fäuste. Auf einmal war es ihm gleichgültig, was Philip von ihm hielt.
»Richtig«, sagte er trotzig. »Ich brauche niemanden.«
Sie schabten Teller ab und schrubbten Töpfe. Sie hievten Porridgenäpfe von den Servierbrettern in den Trog und wieder heraus. Sie aßen am selben Tisch und wuschen sich im Gesindehof am selben Eimer. Sie schliefen auf ihrem Strohsack zwischen den anderen Jungen. Doch all das taten sie in einem Schweigen, das so schwer war wie der Ledervorhang an der Tür zur Küche. Seit dem Nachmittag ihres Streits hatten die zwei Jungen kein Wort mehr gewechselt.
John grüßte Alf und Adam Lockyer. Er scherzte mit Phineas Campin und Jed Scantlebury. Er tauschte kurz angebundene morgendliche Grüße mit den Gingell-Zwillingen und mit Peter Pears. Coake und seine Helfershelfer verzogen höhnisch das Gesicht, wenn sie vorbeikamen. Aber Philip wahrte so eisernes Schweigen wie der Reiherjunge, und wenn er und John an Sonntagnachmittagen in der stillen Spülküche allein waren, vergingen die Sekunden so zäh, als wären es
Porridgeklumpen, die von Phelps’ Schöpfkelle tropften. Philip saß auf dem Boden. John lehnte am Spülstein, klopfte mit den Fingern dagegen und betrachtete eingehend die Decke. Durch das Fenster konnte er die verschiedenen Düfte aus dem Rosengarten riechen. Das beharrliche und unbehagliche Schweigen wurde nur durch das ferne Geschrei anderer Jungen durchbrochen, die auf den Wiesen draußen tollten. Doch am dritten langweiligen Sonntag ertönte auf den Pflastersteinen vor dem Fenster das Klappern von Absätzen. John sah zum Fenster hinauf und hinaus und erblickte braune Frauenstiefel. Über den Stiefeln zeigte sich ein brauner Rock. Im nächsten Augenblick gesellten sich glänzende schwarze Stiefel zu den braunen. Ein dunkelgrüner Rock mit rot besticktem Saum schwang über dem schmucken Schuhwerk.
»... aber vielleicht ist er ganz ansehnlich«, sagte eine Mädchenstimme. »Vielleicht sogar bezaubernd.«
Das war Gemma, dachte John. Und die andere ...
Aber es war schon völlig klar, wer die andere war.
»Ein
Weitere Kostenlose Bücher