Das Festmahl des John Saturnall
fest ...«
Seine Stimme erstarb, aber seine Worte drangen John tief ins Gewissen. Philip hatte ihm geholfen, als niemand sonst sich um ihn gekümmert hatte. Der Junge hatte seine eigene Stellung aufs Spiel gesetzt. Und das hier war sein Lohn. John sah seinen Freund an.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Wir kommen hier raus. Das verspreche ich dir.«
Unbehagliches Schweigen machte sich breit. Beide Jungen senkten den Blick auf die Füße. Schließlich blickte John zur Seite und verdrehte dann den Hals, um aus dem Fenster der Spülküche zu den menschenleeren Wegen zu spähen, auf die das Sonnenlicht fiel. Im Rosengarten war niemand. Gemma und Lucretia waren fort. Er blickte hin und her, um sich zu vergewissern.
»Ich dachte, du hättest für unsere Lady Lucretia nicht viel übrig?«
Philips vages Lächeln war wieder da.
»Hab ich auch nicht«, erwiderte John.
»Aber du hast sie angestarrt.«
»Ich hab ihren Fuß angestarrt«, korrigierte John. »Alles Übrige von ihr kann mir bis zum Ende meiner Tage gestohlen bleiben.«
Lucretia zog die feine Leinenunterhose an ihren nackten weißen Beinen hoch, schob sie über ihre Hüften und schnürte die Bänder um ihre Taille. Sie schlüpfte mit dem ersten Fuß in einen Strumpf, schmiegte die feine glatte Seide an ihre Wade, streifte ein Strumpfband darüber und verschnürte es unter dem Knie. Der zweite Strumpf und das zweite Strumpfband folgten. Halb angekleidet betrachtete sie sich in dem hohen Wandspiegel.
Blassblaue Adern zeichneten sich schwach unter ihrer weißen Haut ab. Ihre Hüftknochen standen hervor. Ihr Mund war zu breit, und ihre Lippen waren zu schmal, während die Haare, die ihr über die Schultern fielen, sich im Schwanz eines Pferdes besser ausgenommen hätten. Der weichere Flaum an ihren Armen war im Sommer dunkler geworden, so wie die spärliche Behaarung unten an ihrem Bauch. Gemma hatte dort mehr Haare, das wusste sie. Wenn sie sich gemeinsam entkleideten, sah sie bei Gemma ein dunkles Wölkchen. Und ihre Zofe hatte Brüste. Klein, aber rund, während ihre eigenen Brüste so platt blieben wie zwei Teller. Sie blickte in den Spiegel. Bei ihrem Anblick kamen ihr Verse aus dem entwendeten Buch in den Sinn.
Hast je den Anblick du genossen,
Wenn eine rote Rose aus der weißen war entsprossen?
Wenn eine rote Kirsche sich plaziert gesehn
In einer weißen Lilie innerstem System?
Hat je dein Auge sich gelabt
Am Erdbeerrot im Sahnebad?
Keine Kirschen waren auf Lucretias Brust »plaziert«. Ihre dunkelbraunen Brustwarzen sahen eher aus wie Flintenkugeln. Sie zog eine Grimasse zu dem Mädchen im Spiegel und warf einen verstohlenen Blick auf die Truhe mit den Decken, in der das Buch versteckt lag.
Ein Gebetbuch, hatte sie gedacht, als sie zu ihrem Zimmer zurückgegangen war. Oder eine Andachtsfibel. Mistress Gardiner wurde es nie müde, ihr zu erzählen, wie fromm ihre Mutter gewesen war. Eigentlich kümmerte sie es nicht, was in dem Bändchen stehen mochte. Ihre Mutter hatte es in Händen gehalten. Das genügte ihr.
Der brüchige Buchrücken hatte geknarzt, als sie das Buch öffnete. Der modrige Geruch der versperrten Gemächer war von den Seiten aufgestiegen. Ein gewöhnliches Buch, hatte sie gedacht, als sie die handschriftlichen Eintragungen sah. Pole besaß ein Buch, in dem sie nach dem Gottesdienst Pater Yapps Predigten notierte, wobei sie viel Aufhebens um ihre Mühen machte und ihre Eintragungen mit Mister Fanshawes Notizen verglich.
Wie nicht anders zu erwarten, füllten Bibelzitate die ersten Seiten. Notizen aus Predigten und Gebeten folgten. Worte von Bischof Jewel. Ihre Mutter hatte ihre eigenen Kommentare hinzugefügt. So bin auch ich überzeugt. Auch der Tugendhafte muss sich vor der Versuchung hüten.
Die Worte ihrer Mutter, dachte Lucretia. Doch als die Eintragungen sich mehrten, begann sie weiterzublättern. Dann blätterte sie eine Seite um und erblickte eine neue Handschrift. Die Buchstaben waren kühner als die der ordentlichen Schrift ihrer Mutter.
Komm, lebe mit mir, mein Herz, mein Lieb,
Und koste alle Freuden, die
Täler, Haine und Hügel spenden,
Hochragende Berge und Wälder und Wiesen ...
Lucretia runzelte die Stirn. Sie war kein Kind. Sie wusste so gut wie die Dienstmädchen, warum der letzte Buchhalter entlassen worden war, als man ihn mit einer Frau aus Callock Marwood ertappt hatte. Und erst in diesem Frühjahr hatte sie sich mit Gemma in den Stallungen versteckt, als der Deckhengst aus Carrboro zu den Stuten
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