Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
Gutshaus stieß ich auf alte Rezepte, die von den Küchenmeistern überliefert worden waren, und unfern den Mauern des Hauses befanden sich die Überreste uralter Obst- und Gemüsegärten ...«

    Als Scovell sprach, entsann sich John des Geruchs des Gewürzweins beim Festmahl am Tag des heiligen Joseph. Und des Obstbaumblütendufts aus den Kastanienwäldern über der Kapelle.
    »Aber die Rezepte waren nur Fragmente«, sagte Scovell bedauernd. »Die Gärten verfallen. Das Fest war verschwunden, das musste ich mir eingestehen. Seine Gerichte existierten nicht mehr. Damit musste ich mich abfinden. Aber dann brachte das Schicksal deine Mutter ins Haus.«
    Er warf einen Blick zu der niedrigen Tür und lächelte in sich hinein.
    »Nichts in der ganzen Schöpfung schien ihr unbekannt zu sein«, sagte er in bedächtigem Ton. »Obwohl sie nur eine einfache Bäuerin war, verstand sie das Fest, als wäre es Teil ihres Wesens. Mir schien, dass meine Suche an ihr Ziel gelangt war. Wir würden das Fest wieder begehen, sagte ich beharrlich zu ihr. Wir würden es zusammen begehen ...«
    Nur eine einfache Bäuerin , dachte John. Wieviel hatte seine Mutter Scovell enthüllt? Die Augen des Meisterkochs funkelten auf einmal voller Leben. Er erzählte John vom Wissen seiner Mutter, von den gemeinsamen Erkenntnissen, die ein Band zwischen ihnen gebildet hatten. Dann wurde sein Ton kummervoll.
    »Aber wir konnten uns nicht einigen. Das Fest gehöre allen, sagte deine Mutter. Erst wenn die Dienenden und die Tafelnden sich zusammentäten, erst dann könne das Fest begangen werden.« Scovell schüttelte den Kopf, doch John hätte nicht zu sagen gewusst, ob ablehnend oder bedauernd. »Wir seien nur Dienstboten, hielt ich ihr vor. Könige erbauten Schlösser, Bischöfe errichteten Kathedralen. Köche hatte es schon vor ihnen gegeben. Aber worin bestand deren Denkmal?« Er blickte mit funkelnden Augen vom Feuer auf. Ein Teil von John hätte ihm da am liebsten erzählt, was er wusste. Doch ein anderer Teil zögerte misstrauisch.
    »Das Fest gehört seinem Koch«, sagte Scovell. »Das war meine Ansicht. Aber Susan, deine Mutter ... Sie hätte ihr Wissen niemals unbedacht
verraten.« Seine Miene verfinsterte sich. »Es wurde ihr gestohlen. Von einer diebischen Elster. Diese Elster stahl nicht blitzendes Geschmeide, sondern Worte. Aus einem Buch.«
    Eine Elster, dachte John. Wieder dieses Wort. Das Buch seiner Mutter. Als Scovell ihn aufmerksam ansah, entsann sich John der verkohlten Seiten, die im Feuer wehten.
    »Es gibt kein Buch, Master Scovell.«
    Der Meisterkoch hielt den Blick auf John gerichtet, für einen Augenblick, der dem Jungen wie eine Stunde vorkam. Doch zuletzt nickte er.
    »Nicht alle Bücher sind geschriebene Bücher, John, nicht wahr?«
    John erinnerte sich, wie er und seine Mutter jeden Abend das Fest herbeibeschworen hatten, die Gerichte in die kalte Luft gezaubert hatten. »Ich weiß es nicht, Master Scovell.«
    »Und was rät dir dein Dämon?«
    Wollte der Meisterkoch ihn zum Besten halten? Leichte Verägerung regte sich in John. »Er schweigt, Master Scovell.«
    »Er handelt klug. Ich wünschte, ich hätte heute Abend auch geschwiegen.«
    John dachte an die Abwesenheiten des Meisterkochs. Nicht Lady Annes wegen, begriff er. Susan Sandalls wegen. Er stellte sich seine Mutter in diesem Zimmer vor, schweigend, während Scovell sie zu überreden versuchte.
    »Das Fest gehöre seinem Koch, sagte ich zu deiner Mutter«, wiederholte Scovell. »Es gehöre allen, hat sie entgegnet. Das waren die letzten Worte, die sie zu mir sprach. Ich habe Susan Sandalls wahres Wesen zu spät erkannt. Sie hat meines besser erfasst. Als sie ging, dachte ich, das Fest wäre für immer verloren.« Er sah zu John auf. »Und dann bist du gekommen.«
    Der Meisterkoch ließ den Blick zu den vollgestopften Regalen wandern, zu den Reihen der Apothekergefäße, die halb verborgen im Schatten standen, und dann zu der niedrigen Tür zwischen seinem Gemach und dem Nebenraum.

    »Sie hat ihr Buch geschrieben«, murmelte Scovell, und John hatte den Eindruck, als spräche er ebenso zu der Toten wie zu sich selbst. »Aber nicht mit Tinte auf Papier. Sie hat es in dir geschrieben. Und sie hat dich hergeschickt. Sie hat dich zu mir geschickt.«

Aus Das Buch des John Saturnall: Ein Gericht aus kandiertem Tand , zweier verstorbener Könige würdig.
    in Rezept ist nichts als die Verheißung eines Gerichtes, doch ein Gericht ist das Maß seines Koches. Von König

Weitere Kostenlose Bücher