Das Festmahl des John Saturnall
Tag dahin. Vor lauter Langeweile half John Luke und Colin die gelblichen Fischseiten klopfen. Das nasse Salz hatte das knotige Seil überkrustet, als Luke den Blick hob. Mister Bunce stand in der Tür. Er suchte John.
»Master Scovell will dich sehen.«
Die langhalsige braune Flasche. Das war der Geruch. Die gleichen schalen Dünste hatten unter der Minze in Pater Holes Atem geschwebt. Scovell saß mit schwarzer Armbinde in einem Lehnstuhl am Feuer.
»Ihr habt mich rufen lassen, Master Scovell.«
Der Meisterkoch regte sich. »Tritt ins Licht, John Saturnall.«
Seine Stimme klang ruhig.
»Du hast jede Kammer abgesucht, wie ich hörte«, sagte Scovell. »Hast jeden Winkel erkundet. Kein Küchenjunge war jemals so wissenshungrig wie du, höre ich von meinen Köchen. Was hast du gelernt und erfahren, John Saturnall?«
Die Vorbereitungsbrigade, dachte John. Die Gewürzkammer, die Backstube, die Zerwirkkammer und die Keller. Jeder Raum mit seinen eigenen Künsten, die es zu meistern galt. Doch vor ihm erstreckte sich das Ausmaß seines Unwissens.
»Ich weiß weniger als bei meiner Ankunft, Master Scovell«, stieß John hervor.
Zu seiner Überraschung lächelte der Meisterkoch. »Dann hast du es weit gebracht.« Er erhob sich aus seinem Sessel und ging zu seinem Schreibpult. »Ich habe dir gesagt, dass du deine Gabe auf ihr Ziel gerichtet nutzen musst. Erinnerst du dich?«
»Ja, Master Scovell.« Doch dieses Ziel war ein Rätsel, dachte John. Ein weiteres Rätsel neben denen, die seine Mutter ihm hinterlassen hatte. Vor seinem inneren Auge stiegen die Dampfgirlanden aus ihrem Kessel empor ... Scovell winkte ihn zu sich. Der Geruch des Alkohols wurde stärker. Als John näher trat, sah er, dass Scovells blaugraue Augen rot unterlaufen waren.
»Ein wahrer Koch hat nur ein Ziel. Ein Ziel, das deine Mutter genauso verstanden hat wie ich. Ein Ziel mit vielen Facetten. Ich glaube, du kennst das Ziel, John Saturnall.«
John erinnerte sich und fühlte sich unbehaglich unter dem Blick des Gegenübers. Was hatte seine Mutter dem Meisterkoch erzählt? Aus großer Entfernung hörte er ihre Stimme. Ihr letztes Rätsel. Wir begehen es für sie alle . Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht, Master Scovell.«
»Das Fest.«
John erstarrte und biss die Zähne zusammen, um sich keine Reaktion anmerken zu lassen. In Gedanken hörte er die Stimme seiner Mutter die Namen der Gerichte aufsagen und hörte seine eigene Stimme, die ihr über das Feuer hinweg antwortete. Er schüttelte langsam den
Kopf. Scovell kniff die Augen zusammen. Doch dann richtete er den Blick ins Feuer.
»Es war nur eine Überlieferung«, sagte Scovell, auf dessen Gesicht der Flammenwiderschein flackerte. »Das dachte ich jedenfalls zuerst. Ich war kaum in deinem Alter, als ich zum ersten Mal davon hörte. In den Küchen, in denen ich heranwuchs, wurden wunderliche Geschichten erzählt. Geschichten von einem überwältigenden Festmahl. Den einen zufolge war es das Festmahl aus dem Garten Eden. Den anderen zufolge war es das Fest, das unser im Paradies harrt. Seine Gerichte enthielten alles, was es in der Schöpfung gab, und sie füllten einen Tisch, der so lang war, dass ein Mensch ihn an einem Tag nicht abgehen konnte. Lügengeschichten. Doch einige Köche waren überzeugt, dass sie auf eine ältere wahre Begebenheit zurückgingen. Ein solches Festmahl sei einstmals aufgetragen worden, sagten sie. Es sei ein Fest von so unerschöpflicher Fülle gewesen, dass Gott eingegriffen und verboten habe, es zu begehen. Denn der Herr hatte dem Menschen auferlegt, sich mit Mühsal vom Acker zu nähren und sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen. Und den Weibern, ihre Kinder unter Mühen zu gebären. Solch ein Fest hingegen würde Männer und Frauen den Weg zu Trägheit, Gier und Sinnenlust weisen.« Scovell lächelte wehmütig. »Auch mir wies es meinen Weg, von einer Küche zur nächsten. Bald merkte ich, dass es andere gab, die das Gleiche dachten wie ich. Manche darunter waren gelehrte Männer. Andere waren Narren. Manche waren ehrenhaft. Andere hatten das Gewissen einer Elster. Was sie verband, war das Fest. Gottes Schöpfung in ihrer ganzen Fülle auf den Tisch zu bringen ... Ein solcher Koch konnte sich mit Fug und Recht einen Priester nennen. Und deshalb setzte ich meine Suche durch die Küchen der großen Häuser fort, bis ich von einem Fest erfuhr, das vor langen Zeiten an einem Ort namens Buckland begangen worden sein sollte. Hier im
Weitere Kostenlose Bücher