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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Reiherjungen sich senkten und die Stangen Barlow und Stubbs auf die Köpfe schlugen. John ruderte mit den Armen, und die Schwingen des Reiherjungen wirbelten und versetzten Coake einen Schlag gegen den Schädel.
    »Aua! Du Hundsfott!«
    Coake hielt sich den Kopf und stolperte. Auf seiner Seite des Teichs drehte John seine Arme wie Windmühlenflügel, was den Reiherjungen in eine wahre Kampfmaschine verwandelte. Mit wirbelnden Schwingen ging die zerlumpte Gestalt auf ihre Gegner los und verteilte Knüffe und Püffe. Die drei Jungen fluchten und jaulten unter dem Hagel von Schlägen und warfen mit Erdklumpen. Dann räumten sie unvermittelt das Feld. Barlow und Stubbs ließen ihre Wurfgeschosse fallen und trollten sich zum Haus zurück, während Coake sich in das Wäldchen davonmachte. Die zwei Kampfgefährten sahen ihnen nach. John stützte die Hände auf die Knie und holte tief Luft. Auf der anderen Teichseite beugte der Reiherjunge sich vor und tat das Gleiche. Dann hob John langsam einen Arm. Die beiden entboten einander ihren Gruß.
    »Ich weiß, dass du sprechen kannst«, rief John atemlos über das Wasser. »Du redest im Schlaf!«
    Sein Kampfgefährte grinste. Dann trat wieder der ratlose Ausdruck auf seine Miene. John begriff, dass sein Mitstreiter hinter ihm etwas sah.
    »Ich gratuliere.«
    Erschrocken drehte John sich um. Eine junge Frau mit einem schmalkrempigen Reithut saß aufrecht auf einem großen grauen Pferd. Unter dem dunkelgrünen Reitrock auf der einen Flanke des Tiers lugten schwarze Stiefel hervor. Eine spitze gerade Nase war auf ihn gerichtet. Wieder einmal sah John zu dem Gesicht von Lucretia Fremantle auf.
    »Eure Manieren haben nicht gewonnen, John Saturnall«, sagte die junge Frau.

    »Euer Ladyschaft?«
    »Es ist dreist von Euch, mich so unverblümt anzusehen.«
    Er senkte den Blick auf die gekräuselte Oberfläche des Teichs. Ihre Stimme war etwas tiefer geworden, dachte er. Und ihre Lippen waren voller. Seit dem kurzen Blick draußen vor der Kapelle hatte er sie nie mehr zu Gesicht bekommen. Nun schimmerte ihr Spiegelbild im Wasser, zerfloss und tauchte wie durch Zauberei unversehrt wieder auf. Doch nichts würde den Charakter seiner Besitzerin zum Zerfließen bringen, dachte John ernüchtert. Er erinnerte sich an ihre schrillen Schreie in der Sonnengalerie. Hier! Er ist hier! Kein Zucker der Welt würde Lady Lucretias sauertöpfisches Wesen je versüßen. Von jenseits des Teichs starrte der Reiherjunge herüber, als wäre Lucretia auf einem Riesenvogel hergeflogen.
    »Ich sehe, dass Ihr in den Rang eines Küchenjungen aufgestiegen seid«, fuhr die junge Frau sarkastisch fort. »Wie erhofft.«
    Ihre Manieren hatten auch nicht gewonnen, dachte John.
    »Ich bin Koch, Euer Ladyschaft«, erwiderte er.
    »Oh, sogar mehr als erhofft. Ich gratuliere, Master Saturnall.«
    »Mister«, verbesserte er sie. »Ein Koch hat Anrecht auf den Titel ›Mister‹.« Er ließ den Bruchteil einer Sekunde vergehen. »Lady Lucretia.«
    »Sehr wohl.« Sie machte ebenfalls eine Pause. »Mister Saturnall. Seid bedankt für diese unschätzbare Korrektur.«
    »Es freut mich, Euer Ladyschaft einen Dienst erwiesen zu haben.« Erwartete wieder. »Euer Ladyschaft.«
    »Und mich freut es, das zu hören«, erwiderte sie eisig. Doch auf den Wangen des Spiegelbilds glaubte John zwei rote Flecken entstehen zu sehen.
    »Dann danke ich Euer Ladyschaft für die Gelegenheit«, antwortete John. Vielleicht sprach man oben im Haus so miteinander, dachte John. Wie ein Wandballspiel, nur mit Wörtern statt mit Bällen.
    »Und ich gratuliere Euch zu Euren neuen Manieren«, erwiderte Lucretia in mühsam beherrschtem Ton. »Ich wünschte wahrhaftig, ich
könnte Euch noch weiter in die Höflichkeit einführen. Aber zu meinem Bedauern muss ich weiterreiten. Einen guten Tag, Mister Saturnall.«
    »Das Bedauern liegt ganz bei mir, Euer Ladyschaft. Einen guten Tag auch Euch.«
    Ein kleiner Teil von John verspürte leise Enttäuschung, als er beiseite trat. Das Pferd ging weiter. Er beobachtete Lucretias Hüften, die sich im Rhythmus des Pferdegangs bewegten. Hatte sie in der Sonnengalerie schon diese Hüften gehabt? Unversehens hielt sie ihr Pferd an. Vermutlich wollte sie sich umdrehen und eine weitere Gehässigkeit anbringen. Doch sie richtete den Blick zum Torhaus, dessen große Flügel gerade geöffnet wurden. Ein vertrautes Gefährt erschien in der Zufahrt.
    »Oh, verwünscht aber auch«, murmelte sie.
    Zwei ungleiche Pferde zockelten

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