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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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simmerte und dämpfte. Er briet, röstete, frittierte und schmorte. Er dämpfte Stockfisch und hackte geräucherte Heringe, während in Scovells Tiegeln althergebrachte Saucen schmurgelten: schwarzer Chaldron, Bukkenade, süßsaures Agredolce, Cameline und pfeffrige Alexandrinische Sauce. Für die Festmähler im Obergeschoss verzierte er Teigformen mit Zinnen und Türmchen und gab Fleischfüllungen hinein, die in den Wappenfarben der adeligen Gäste Sir Williams gefärbt waren. Aus oblatendünnem gewürztem Eierteig und Mürbeteig schuf er Paläste, deren Mauern er mit Zucker glasierte. Für den Bischof von Carrboro bastelten sie eine Kathedrale.
    »Streu Salz auf den Sirup«, befahl Scovell, der sich in seinem Gemach über den dampfenden Tiegel beugte. In dem Tiegel strudelte eine goldene Flüssigkeit. »Ganz langsam.«
    »Das wird den Zucker verderben«, wendete John ein.

    Aber Scovell schüttelte den Kopf. Am nächsten Tag hoben sie die kalte durchscheinende Kruste ab, und John kostete einen Splitter davon. »Salz«, sagte er, als der Splitter seine Zunge berührte. Doch nach und nach schmeckte der brüchige Splitter süßer. Süße lief seinen Gaumen entlang. Mit fragendem Blick drehte er sich zu dem Meisterkoch um.
    »Salzlake steigt auf«, sagte Scovell. »Sirup sinkt.« Er lächelte. »Geduld, erinnerst du dich? Aber nun zu der Glasur ...«
    Die Aufgaben vervielfältigten sich. Aufgaben, die John eher wie Rätsel erschienen. Rätsel, die ihm eher wie Proben erschienen. Doch jeden Tag erweiterte sich der Vorrat seines Wissens. Nach und nach wurden die Küchenräume zu seinem eigenen Reich. Scovell hatte recht, dachte er, als sein fünftes Jahr im Gutshaus nahte. Das Fest konnte tatsächlich seinem Koch gehören.
    »Wer war Tantalus?«, fragte der Meisterkoch in jenem Frühjahr John. »War er ein Koch oder ein König? Welches Gericht würdest du für ihn bereiten?«
    Ein neues Rätsel, dachte John. Doch inzwischen wusste er die Antwort. »Keines, Master Scovell. Das Fest gehört ...«
    »Seinem Koch. So ist es«, fiel Scovell ihm ins Wort. »Aber bedenke Folgendes. Selbst König Tantalus hatte einen Herrn, dem er dienen musste, einen Herrn, dessen Appetit sein Gesetz war.« Er richtete den Blick zur Decke des Gewölbes. »Genau wie bei uns, John.«
    Das Rätsel hatte sich wieder verwandelt, erkannte John. Aber wer war ihr Herr? Sir William hatte sich hier unten nie blicken lassen. Und ebenso wenig seine Tochter.
    Er dachte an den König in seinem Teich, in dessen Wasser der Tand eines Königs schwamm: eine funkelnde Krone, ein Ring mit einem Rubin, eine Handvoll blinkender Münzen. Die ungenießbaren Reichtümer des Tantalus würden zu schmackhaften Süßspeisen werden: die Krone als ein Gebilde aus Gebäck und Schaumspeisen; vielleicht auch als eine härtere Süßigkeit aus gesponnenem Zucker, von einer glasierten Kirsche gekrönt; die Münzen bestünden aus zwiefach gebackenem
Teig von goldenem Glanz. Und alles schwebte in einem Teich aus blass bernsteinfarbenem Gelee. Tantalus würde in die Tiefen blicken, die so klar waren, dass er bis zum Grund sehen konnte ...
    Das war sein Bestreben gewesen, als er sich an die Arbeit gemacht hatte, sich abgemüht hatte und zuletzt Simeon Parfitt die Aufsicht über sein Werk anvertraut hatte ...
    Und nun hatte er Ruß vor Augen.
    »Warum konnte Tantalus sich nicht mit gekochtem Rindfleisch zufriedengeben?«, fragte Philip, der den Ledervorhang zur Vorbereitungsbrigade aufschob. »Das ist eine richtige Mahlzeit. Und dafür braucht man keinen ganzen Zuckerhut von Madeirazucker ...«
    »Schon vergessen, wie man kocht?«, mischte sich eine näselnde Stimme ein. Philip und John sahen auf.
    Ein schwarzer Helm aus Haaren umrahmte ein fahles Gesicht. Spärliche Bartstoppeln wollten ein Schnurrbart werden. Coakes boshaftes Grinsen schien bis zu seinen dicken schwarzen Augenbrauen zu reichen.
    »Wir haben wenigstens gelernt, wie es geht«, gab Philip zurück. Aber Coake hielt seinen Blick auf John gerichtet.
    »Wieder mal zum Geheimsabbat mit Scovell verabredet, wie?« Sein Gesicht glitzerte, gerötet von der Hitze in der Küche. »Rührt wohl in den selben Töpfen, wie, Hexensohn?«
    John sprang vor, doch Philip stellte sich zwischen die beiden. Mit höhnischem Schnaufen wendete Coake sich ab und ging in die Küche. John hielt die Pfanne in der Hand und runzelte die Stirn.
    »Denk nicht an ihn«, sagte Philip, und dann klopfte er an die Pfanne. »Denk lieber daran. Und daran,

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