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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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vergoldete Kutsche mit sechs Schimmeln. Vor dem Haushalt sah er neben dem schwarzgekleideten Sir William eine schmächtige Gestalt, die einen Augenblick länger als alle anderen aufrecht blieb. Dann sank auch sie auf die Knie.
    Die herbeitrabenden Pferde mit ihrem nickenden Federschmuck, die schimmernde Kutsche, die blinkenden Banner und die livrierten
Vorreiter ... Es war Lucretia, als würde das straffgespannte Seil in ihrem Inneren auf einmal entrollt. Sie waren da, sagte sie sich, als sie die Räder knirschen und anhalten hörte. Ihre Majestäten waren da.
    Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann trat ein Lakai vor, und die Tür der Kutsche wurde geöffnet. Eine Treppe wurde geholt und abgesetzt. Sie hörte, wie ihr Vater im Namen seines Hauses Begrüßungsworte sprach. Bei diesen Worten sah Lucretia auf.
    Ein Geflirr leuchtender und raschelnder Seide überflutete ihre Augen und Ohren. Kleider wirbelten um sie herum. Die Hofdamen Ihrer Majestät lösten ihre Herrin aus der flatternden Phalanx. Eine Frau mit langer gerader Nase, einem hübschen ovalen Gesicht und lebhaften Augen sah lächelnd zu Lucretia hinunter.
    »Lady Lucretia?« Die Königin sprach mit leicht französischem Akzent, und in Lucretias Ohren tönte ihre Stimme wie das Klingeln von Silberglöckchen. Lucretia nickte, und die Königin lächelte.
    »Ihr werdet mir heute Nachmittag aufwarten, nicht wahr?«
    Lucretia blickte auf, keines Wortes mächtig.
    »Sagt, dass Ihr kommen werdet«, drängte Ihre Majestät.
    Wieder nickte Lucretia.
    Man brachte sie zu den persönlichen Gemächern der Königin. Farbige Girlanden und Baldachine hatten die trübseligen Räume wie durch Zauberhand verwandelt. Auf einem Wandteppich jagten Männer und Frauen gemeinsam. Die Königin lächelte, als Lucretia vor ihr knickste. Neben der Königin bauschte sich silberblaue Seide über einem Kleiderständer; der schimmernde Stoff fiel in üppigen Falten bis zum Boden. Ein Kleid, wie Lucretia erkannte. Die Königin lächelte sie an und deutete auf den Kleiderständer.
    »Für Euch.«
    Die Kammerzofen der Königin führten Lucretia hinter einen Schirm. Geübte Finger schnürten ihr Korsett auf und kleideten sie dann an. Der kühle Stoff glitt über ihre Haut, ein zarteres Gewebe, als sie jemals zu spüren bekommen hatte. Doch als sie einen Blick in den Wandspiegel wagte, war sie entgeistert. Das Oberteil hing an ihr wie ein Sack an
einem Stecken. Die silbrigblaue Seide rutschte ihr von den Schultern. Widerstrebend trat sie hervor. Ihre Majestät klopfte auf den gepolsterten Hocker zu ihren Füßen.
    »Kommt, setzt Euch zu mir.«
    Lucretia setzte sich auf den Hocker, und die Königin beugte sich vor.
    »Ich werde meine Näherinnen auspeitschen lassen«, flüsterte sie. »Aber seht nur, wie schlank Ihr seid. Ihr seid im gleichen Alter wie ich, als ich den König erstmals sah. Habt Ihr schon Eure Monatsblutungen?«
    Lucretia errötete. Die Krämpfe und die Blutungen stellten sich unregelmäßig ein, manchmal monatelang nicht. Mit ihrer Mutter habe es sich genauso verhalten, hatte Mistress Gardiner finster gemurmelt. Aber sie hatte nicht gehungert, um Aufmerksamkeit zu erregen ... Sie nickte verlegen.
    »Das ist gut. Ihr müsst essen, wie die Apotheker es Euch raten.« Ihre Majestät strich eine Strähne von Lucretias Haar zurück. »Ich würde Euch gerne Lucy nennen. Gestattet Ihr das? Sagt, dass Ihr es gestattet.«
    Lucretia sah zu den Kammerzofen und dann zurück zu der Frau, die sie freundlich anblickte.
    »Ihr werdet dieses Kleid tragen, wenn Ihr bei Hofe vorgestellt werdet, Lady Lucretia.«
    Lucretia sah hoch, und lang verschüttete Freude stieg in ihr auf.
    »Man sagte mir, Ihr ließet Euch nicht freien«, sagte die Königin, und ihre Damen lächelten. »Ihr wäret unnahbar. Aber nun, da ich Euch gesehen habe, kann ich das nicht glauben.«
    Argwohn überflog Lucretias Gesicht wie ein Schatten.
    »Freien?«
     
    An den minderen Tischen gebe es Gerangel, berichteten die Servierbediensteten. Einzelne Höflinge lauerten offenbar am Eingang zum Saal, um sich dort von den Servierbrettern zu bedienen. Andere wagten sich sogar die Treppe hinunter, bis Mister Underley am Fuß der Treppe einen Hackklotz aufstellte und dort in seiner blutigsten Schürze
und mit einem Hackmesser in der Hand jeden Ankömmling mit Hut und Rüschen begrüßte, der sich aus dem großen Saal nach unten verirrte.
    Aus ihrem Schlafsaal vertrieben, schliefen John und die anderen Köche mit den

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