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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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immer noch misstrauisch.
    »Oh, hat sich aber gelohnt«, erwiderte Coake leichthin. »Hab’s eingetränkt. Verstehst du? Erinnerst du dich?«
    Er grinste und eilte an John vorbei. Eingetränkt? John erinnerte sich. Aber was war der Zusammenhang? Als Coake fort war, verrenkte John sich schier den Hals, um in den Teich des Tantalus auf dem obersten Regalbrett zu spähen. Die Flüssigkeit war noch nicht geliert. Aber John wusste, dass sie gelieren würde. Aus einem unerfindlichen Grund war die Krone umgekippt. Er rückte sie wieder zurecht.
    In der Küche wurden winzige Fleischpasteten, mit Spinat und Walnüssen gekrönt, auf Servierbretter geladen. Platten voller Hackbällchen
aus Hammelfleisch, mit Safran gewürzt und mit kunstvoll geschnitzten Zitronen verziert, warteten daneben. Quillers Servierdiener schleppten Platten dünn aufgeschnittenen Rindfleischs, mit einer Paste aus Artischocken und Pistazien gefüllt, und solche mit ausgehöhlten Weißbrötchen, deren Füllung aus gehackten Eiern, milden Kräutern, Zimt und Salz bestand ...
    Der Gewürzwein war bereits aufgetragen. Die Köche eilten geschäftig hin und her und brachten den wartenden Servierdienern die Gerichte: Kantaluppen in Sirup, Kapaunensuppe, gekochte Tauben in Sauce, gehacktes Kükenfleisch mit Salat, Braten vom Rehkitz mit einer italienischen Sauce und danach eine Eiercreme, die auf einer Torte aus grünen Parmänen verschämt zitterte ...
    Als Master Scovell sich anschickte, das große Schaugericht hinaufbringen zu lassen, wusste John, dass nun sein Augenblick gekommen war. Er bat Simeon, ein zweites Eisen ins Feuer zu geben, und eilte dann mit Philip in die Kühlkammer. Die Flüssigkeit war geliert und klar. Beide blickten in die Tiefen des tantalischen Teichs. Krone, Münzen und juwelengeschmückter Ring lagen auf seinem Grund.
    Philip räumte auf dem Arbeitstisch am Herd eine Fläche für die Teigformen frei. John wickelte sich ein Tuch um die Hand und nahm das Eisen aus dem Feuer.
    Eine Handbreit darüber, sagte er sich. Er senkte das Eisen fast bis auf das Gelee und führte es hin und her, sorgsam den Augenblick abpassend, in dem die Oberfläche sich sanft zu kräuseln begann. Aus dem Augenwinkel sah er vier Männer behutsam voranschreiten, mit Scovells und Vanians kunstvollem Schaugericht auf einer langen Trage. Sie gingen gebückt, damit die oberste Schicht unbehelligt den Eingang passieren konnte.
    »Vorsicht«, sagte Scovell warnend.
    Mit dem heißen Eisen hantierte John über der Oberfläche seiner Süßspeisen. Nach und nach wurden sie gläsern. Als das Eisen abkühlte, sah John sich nach dem zweiten um. Scovell und Vanian gossen gewürzte Lactade in Teigschälchen in der obersten Etage ihres Gebildes, das Luke
Hobhouse und vier andere Küchenjungen vorsichtig drehten. Aber der Herd war leer. Das heiße Brenneisen war nirgends zu sehen.
    »Simeon!«, zischte John. »Das Eisen!«
    Simeons Gesichtsausdruck sagte alles. »Master Saturnall, ich ... ich hab’s vergessen.«
    »Vergessen? Hol eins!«, befahl John. Aber Simeon stand da wie angenagelt vor Scham über sein Versagen. »Beeil dich!«, schnauzte John.
    Erschrocken drehte Simeon sich um und lief los, ohne auf die Gerichte in den Wärmepfannen zu achten oder auf die Winde für die Kessel oder auf die Stapel von Brennholz. Und auch nicht auf Scovells prunkvolle Galanteriespeise. Starr vor Entsetzen sah John, wie Simeon mit dem hintersten Träger zusammenstieß, wie dieser taumelte, wie ihm die Trage entglitt. Colin sprang hin und versuchte die Trage wieder ins Lot zu bringen. John sprang ebenfalls hinzu. Doch das große Gebilde hatte sich zu neigen begonnen, dann begann es zu schwanken, und dann kippte es um und rutschte von der Trage; die Schichten zerbrachen, die Lactade spritzte aus den Schälchen, Creme und Süßwein zerflossen in Schlieren, und die Tiere aus Marzipan hüpften hinunter, gefolgt von König und Königin, die auf den steinernen Bodenfliesen zerschellten.
    Einen Augenblick lang herrschte in der Küche völlige Stille. Alle Blicke ruhten auf Simeon, der von Kopf bis Fuß mit der Süßspeise bekleckert war. Alle Blicke außer Scovells Blick. Scovell blickte zu John.
    »Ich hab ihn losgeschickt«, sagte John tonlos. Er sah auf das zerbrochene Feingebäck und die Creme, die in Rinnsalen über den Fußboden floss.
    »Geduld«, murmelte Scovell.
    Unter den entsetzten Mienen bewahrte nur der Meisterkoch Ruhe. Er deutete mit seiner Schöpfkelle auf Johns zwei Teichgebilde

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