Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
haben.«
»Wieso nicht? Wir leben im 21. Jahrhundert, Lukas«, erwiderte sie. »Was spricht denn dagegen, dass der oder die Täter die ganze Sache mitgefilmt und über das Internet an die Leute geschickt haben, die genau sehen sollen, was jemandem blüht, der nicht tut, was sie von ihm wollen?«
Einen Augenblick lang war Möhrs baff. Nicht so sehr, weil ihn der Vorwurf traf, er wäre altmodisch. Eher, weil es ihnverblüffte, dass eine Person wie Özen solche Fantasien entwickelte. Andererseits: Sie war Rechtsmedizinerin, und sie hatte den ganzen Tag direkt vor Augen, wozu Menschen fähig waren. Offenbar konnte er in dieser Hinsicht trotz seiner eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet nicht mit ihr mithalten. Dabei war sie nach all dem, was sie ihm über sich erzählt hatte, im Grunde ihres Herzens ein sensibles Geschöpf. Sie stammte aus einer Familie, die seit Generationen Ärzte hervorbrachte. Ihr Vater war ein noch zu Zeiten des Schahs in Teheran ausgebildeter Chirurg, der für eine Anstellung an der Berliner Charité nach Deutschland gekommen war. Sie hatte Medizin studiert, sehr zur Freude ihres alten Herrn, und sich dann auf Rechtsmedizin spezialisiert, zum großen Verdruss ihres Erzeugers. Der hätte sie viel lieber in seinen Fußstapfen als »richtiger« Arzt gesehen. Möhrs hatte ihre Beweggründe gut nachvollziehen können: Seit frühester Kindheit hatte sie miterlebt, wie ihr Vater jedes Mal darunter litt, wenn er einen Patienten verlor, auch wenn er versuchte, sich davon nichts anmerken zu lassen. Das war etwas, das sie sich gern ersparen wollte, und Patienten, die bereits tot waren, konnte man eben nicht wirklich verlieren. »Fällt dir was ein, ob es irgendeine religiöse Gruppe oder Glaubensgemeinschaft gibt, die auf diese Weise – wie sagtest du gerade? – Exempel statuiert?«
»Außer den üblichen Klischees? Satanisten und Kulte? Nein.« Sie zeigte ihm spielerisch den Vogel. »Ich bin da keine Fachfrau. Ich stelle mich doch jetzt nicht hierhin und fabuliere etwas über Teufelsanbeter oder Serienkiller zusammen, die meinen, sie wären von Dämonen besessen, und am Ende ist es so etwas Banales wie eine aus dem Ruder gelaufene Eifersuchtstat oder eine brutale Strafaktion der Russenmafia.«
»Moment!«, bremste er sie in ihrem Redefluss. Er hatte das Gefühl, als hätten sich irgendwo in seinem Hirn gerade zwei oder drei Informationsfetzen wie Mosaiksteinchen zusammengefügt. »Die Russenmafia. Das ist gar nicht so schlecht. Das Opfer hat ein R auf der Stirn, und – «
»Das kyrillische R ist spiegelverkehrt«, fiel sie ihm ins Wort. »Und wenn die Russenmafia eines ist, dann patriotisch. Die ritzen niemandem ein westliches R ein.«
»Du bist keine Fachfrau für Ritualmorde, aber mit der Russenmafia kennst du dich aus?«, blaffte er ungehalten, frustriert von der Leichtigkeit, mit der sie seine Theorie zerschoss.
»Ich hatte mal einen Freund an der Uni, der …« Sie klappte die Aktenmappe zu. »Aber das gehört nicht hierher. Mehr habe ich leider nicht für dich.«
»Spitze.« Möhrs war unsicher, weshalb sie ihm ganz nonchalant hatte aufs Butterbrot schmieren müssen, dass sie in Sachen Partnerschaft und Zweisamkeit einen wesentlich reichhaltigeren Erfahrungsschatz vorzuweisen hatte als er. Was wollte sie ihm damit signalisieren? Dass für sie kein Mangel an Männern bestand, die an einer Beziehung oder auch nur einem flüchtigen Techtelmechtel mit ihr interessiert gewesen wären? Oder bildete er sich nur ein, dass das eine Stichelei von ihr gewesen war? Er kramte aus der Gesäßtasche seiner Jeans eine Packung Kaugummi, die er lange genug mit sich herumtrug, dass sie sich bereits den Rundungen seines Hinterns angepasst hatte. Er bot ihr ein Kaugummi an, sie lehnte dankend ab. Einen Sekundenbruchteil lang fand er zu so etwas wie Entspannung zurück, als das Aroma künstlicher Minze sich in seinem Mund ausbreitete und in seine vom Heuschnupfen verstopften Nebenhöhlen aufstieg. »Frieder Jakobs hat allein gewohnt, und niemand von den Nachbarn will irgendwas gesehen oder gehört haben. Tja, dann bleibt mir wohl keine andere Wahl. Ich werde mit seinen Kollegen und seiner Nichte sprechen müssen, um herauszufinden, ob am Verhalten von Frieder Jakobs in letzter Zeit irgendetwas auffällig war. Irgendwas, das den Verdacht nahelegte, dass er bedroht wurde oder so.«
»Ich dachte, das stünde in deiner Jobbeschreibung.« Sie versah die Aktenmappe mit einem Datumsstempel. »Duhörst dich an, als
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