Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
»Haben Sie vor, meine Mutter in Ihrem Artikel auftauchen zu lassen?«
»Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht.« Katja hatte noch keine Zeile geschrieben und nicht einmal eine lose Gliederung geschafft. »Sie ist natürlich eine spannende Person.«
»Ein dehnbarer Begriff«, merkte Bernd an.
»Sie verkörpert eine der beiden Fronten, die sich hier gegenüberstehen«, fuhr Katja fort. »Und sie hat sehr klare Meinungen, mit denen sie nicht hinter dem Berg hält. Das macht sie schon sehr interessant, und …« Katja stockte. Was erzählte sie da? Sie redete schließlich von einer Irren, der sie zutraute, ihren Onkel auf dem Gewissen zu haben. Brauchte es tatsächlich nur einen einigermaßen niedlichen Typen, der zufällig der Sohn dieser Furie war, damit sie das vergaß? Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie gestern noch Enzo hatte zurückrufen wollen. Sie nahm sich fest vor, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Doch zuerst wollte sie reinen Tisch mit Saalfeld machen und ihm sanft zu verstehen geben, was sie von seiner Mutter hielt. »Ich bin mir nur nicht ganz so sicher, ob sie … na ja … ob sie sich noch so im Griff hat, wie man sich im Griff haben sollte.«
»Das kann ich Ihnen schlecht vorwerfen«, sagte Saalfeld ohne jedes Anzeichen dafür, dass ihn die Kritik an seiner Mutter kränkte. »Mir ist wichtig, dass Sie verstehen, wie meine Mutter zu dem schwierigen Menschen wurde, der sie heute ist. Ich würde Ihnen gern etwas zeigen, falls Sie ein bisschen Zeit für mich haben.«
»Okay, warum nicht? Hier?«
»Nein«, sagte Saalfeld ernst. »Ich weiß, es ist eine ungewöhnliche Bitte, aber es wäre das Beste, wenn ich Sie an einen Ort bringe, an dem Sie selbst sehen können, was meine Mutter umtreibt.«
»Aha.« Bernd quittierte den sonderbaren Vorschlag mit einer gerunzelten Stirn. »Und was für ein Ort ist das, wenn ich fragen darf? Sagen Sie jetzt nicht das Kraftwerk. Da waren wir nämlich schon.«
»Nein, ich meine nicht das AKW«, erwiderte Saalfeld. »Ich meine den Friedhof hier.«
29
Kurz nachdem sie das Ortsschild von Güstrin passiert hatten, fragte Katja: »Wie haben Sie mich gefunden?«
»Das war nicht so schwer«, antwortete Saalfeld. Sie saßen in seinem klapprigen Toyota, dessen Lack durch Wind und Wetter von Goldmetallic zu einem stumpfen Braun abgeschmirgelt worden war. Bernd folgte ihnen mit zwei Wagenlängen Abstand im Jaguar. »Güstrin hat nicht sehr viele Hotels und Gasthöfe. Ich hatte nur eine kurze Liste abzutelefonieren. Aber müssen wir uns eigentlich siezen?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie lachte. »Es sei denn, du bestehst darauf.«
»Tue ich nicht.«
»Schön.« Sie streckte die Beine im Fußraum aus. »Sag mal, du wohnst nicht mehr bei deiner Mutter, oder? Dein Auto hat ein Marburger Kennzeichen.«
»Ja, ich studiere da.« Er nutzte einen kurzen Halt an einem Stoppschild, um ihr einen Seitenblick zuzuwerfen. »Ich bin nur auf Heimaturlaub. Über Ostern.«
Sie stellte fest, dass sie in ihren Interviewmodus wechselte, aber es störte sie nicht weiter. Erstens war er offenbar ein auskunftsfreudiger Gesprächspartner, und zweitens mochte sie seine Stimme. »Und was studierst du da so? In Marburg?«
»Vergleichende Religionswissenschaften.«
»Ist das Theologie?«
»Nein, nicht direkt.« Der Motor rasselte leise, als er wieder anfuhr. »Ich will nicht Pastor werden oder so. Es gibt da zwar jede Menge Überschneidungen mit der Theologie, weil man sich bei uns gern mit solchen Religionen befasst, die irgendeine Art von heiliger Schrift haben. Aber uns geht es nicht nur um die metaphysischen Dinge. Bei uns wird es oft ein bisschen konkreter. Wie und weshalb breiten sich Religionenaus? Wie sind Glaubensgemeinschaften auf sozialer Ebene strukturiert? Wie manifestiert sich Glaube auf einer psychologischen oder neurologischen Ebene? Solche Sachen.«
»Hast du da ein Spezialgebiet?«
»Die Theodizeefrage und wie sie in unterschiedlichen Religionen beantwortet wird«, sagte er wie aus der Pistole geschossen. »Das wird auch mal das Thema meiner Doktorarbeit, wenn alles glattläuft.«
Sie durchforstete ihre verschwommenen Erinnerungen an ihren Konfirmandenunterricht. »War das die Frage danach, warum guten Menschen Schlechtes widerfährt?«
»So ungefähr, ja.«
Das war eine verdammt gute, aber auch ungemein ernüchternde Frage. Und ja, sie hatte sie auch mit Pastorin Nohr diskutiert. An einem naheliegenden Beispiel. Wenn Gott wirklich allmächtig und gütig war
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