Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
stellte sich vor, und sie führte ihn in eine blitzsaubere Küche, wo sie an einem kleinen Tisch in der Ecke Platz nahmen. Möhrs gewann den beklemmenden Eindruck, dass indiesem Haus eine Kälte Einzug gehalten hatte, die selbst den Fluss der Zeit ins Stocken brachte: Die wenigen Staubflocken in den schwachen Lichtstreifen, die durch die Schlitze halb heruntergelassener Jalousien stachen, tanzten nicht, sondern schienen in der Luft zu stehen. Die Abstände zwischen dem Ticken des Sekundenzeigers der Uhr an der Wand mit der Raufasertapete waren viel zu lang, die Kohlensäurebläschen in dem Glas Selters, das sich Lippert eingegossen hatte, viel zu träge bei ihrem Aufstieg durch die klare Flüssigkeit.
»Eine Sache wundert mich«, sagte Möhrs, um das Gespräch zu eröffnen und die unheimliche Stille zu durchbrechen. Er fühlte sich dabei wie jemand, der mitten in einer Kirche lauthals einen dreckigen Witz erzählte. »Sie haben bei Ihrem Anruf bei uns angegeben, Ihr Mann wäre schon Freitagnacht nicht nach Hause gekommen. Bei uns gemeldet haben Sie sich aber erst heute Morgen, also nach zwei Nächten, in denen Sie nichts von ihm gehört haben. Warum?«
Sie schaute auf ihre Fingernägel. »Wäre es unhöflich von mir, Sie fortzuschicken und darum zu bitten, dass eine Ihrer Kolleginnen vorbeikommt?«
»Uh …« Möhrs blinzelte. Die erste Frage, und er hatte offenkundig gleich in ein Wespennest gestochen. »Wenn es Dinge gibt, von denen Sie das Gefühl haben, Sie könnten mit einer Frau leichter darüber sprechen, kann ich das sehr gut verstehen. Das Problem ist nur, dass in meinem Dezernat keine Frauen arbeiten.«
»Dann muss ich mit Ihnen vorliebnehmen.« Sie faltete die Hände im Schoß. »Ich habe mich bei der Polizei deshalb so spät gemeldet, weil es häufiger vorkommt, dass mein Mann eine Nacht außer Haus verbringt. Seit Jahren. Nein, seit Jahrzehnten. Schon bevor wir hierher nach Güstrin gezogen sind. Ich bin ihm immer eine gute Ehefrau gewesen, aber es gibt Dinge, auf die er nicht verzichten will und die ich ihm leider nicht geben kann. Dinge, die sich für gewöhnlich in einem Bett abspielen.«
Möhrs glaubte zu ahnen, dass die Atmosphäre in diesem Haus schon länger sonderbar gewesen sein musste. »Ihr Mann ist homosexuell?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie nahm den Oberkörper ein Stück zurück, als empfände sie körperlichen Ekel. » Das ist mir erspart geblieben.«
»Ah.« Möhrs nahm sich vor, in Zukunft mit seinen Vermutungen vorsichtiger zu sein. »Dann müssten Sie mir näher erklären, was Sie meinen.«
»Ich bin wirklich nicht prüde«, sagte sie ruhig. »Ich verstehe auch, dass Männer andere Bedürfnisse haben als Frauen. Ich habe anfangs versucht, dem in meiner Ehe gerecht zu werden. Mein Mann ist damals noch zur See gefahren, und ich habe ihn verhältnismäßig selten gesehen. Wenn er da war, habe ich mir große Mühe gegeben, dass er es schön hat. Und ich habe ihn vermisst, wenn er nicht da war. So sehr, dass ich ihm einmal kurz vor Weihnachten einen Überraschungsbesuch abgestattet habe. An Bord seines Schiffes. Es lag in Dover vor Anker. Bei Schnee und Eis bin ich mit dem Auto von hier bis nach Calais gefahren und habe von dort mit der Fähre übergesetzt. Alles nur, um ihn wiederzusehen.« Sie trank einen Schluck Wasser, langsam und bedächtig. »Er war an diesem Abend nicht allein in seiner Kabine. Da habe ich begriffen, wo er sich holt, was ich ihm verweigert habe. Es war kein schöner Anblick, und es hat vieles zwischen uns geändert. Aber ich wollte nicht, dass es alles ändert. Dass es mir die Stunden raubt, in denen ich mit ihm glücklich sein kann. Ich habe eine Abmachung mit ihm getroffen. Er darf tun, was er nicht lassen kann. Solange ich nicht mehr darüber erfahre als unbedingt nötig und solange er mir im Herzen treu bleibt, wenn er es schon nicht auf die andere Weise schafft. Es ist ein gutes Arrangement. Es hat unsere Ehe gerettet. Bis jetzt. Es ist in der ganzen Zeit, seit wir nach Güstrin gekommen sind, das erste Mal, dass er sich zwei Nächte hintereinander nicht bei mir meldet.«
»Gut.« Um der lähmenden Tristesse von Lipperts Aussagen irgendeine Form von Aktivität entgegenzusetzen, packte Möhrs sein Notizbüchlein und einen Kugelschreiber aus. »Wissen Sie, wo Ihr Mann in der Nacht von Freitag auf Samstag war?«
»Haben Sie mir nicht zugehört?« Sie schüttelte den Kopf, eine Hand am Dutt. »Mich interessiert nicht, wo mein Mann hingeht, wenn er
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