Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Lied, das ihr diese Priester des Leids abverlangten. Grausame Anrufungen voll trotzigem Spott. Zeilen, die ihr die Zunge verätzten und die Kehle zerschnitten.
Ein Grunzen. »Nehmt Abschied, Brüder.«
Ein Knurren. »Ob du ein Mädchen hast oder auch keins.«
Ein Stöhnen. »Schenk mir dein Herz und sag ja.«
Ein Ächzen. »Männer sind so verletzlich.«
Ein Flüstern. »Das ist es, was ein Mann so braucht.«
Sie sang und sang und sang, bis jeder von ihnen sein Opfer in ihr dargebracht hatte und ihr Schoß nur noch Feuer war. Als die Flammen aus ihrer Haut schlugen und alles um sie herum verzehrten, gab das schmelzende Schott vor ihr endlich nach. Sie stürzte durch einen glühenden Vorhang in eine Welt, in der Schmerz und Scham keine Bedeutung mehr hatten.
Nur die Bruchstücke der auseinandergerissenen Atomeschrien und brüllten und kreischten noch, weil sie nicht vergessen wollten, wie vollkommen und unantastbar sie einst gewesen waren.
51
»Ich muss aber.« Katja schlug die Augen auf. Für einen quälend langen Moment war sie nicht sicher, wo sie war. Es war ein dunkler Ort, ein warmer Ort, und sie hatte noch die Stimme ihres Vaters im Ohr. Erst dachte sie, der schwere Atem, den sie hörte, wäre seiner. Dann erinnerte sie sich daran, dass ihr Vater nicht mehr atmete. Dass er nicht einmal mehr Lungen hatte, mit denen er hätte Luft holen können. Ihr Vater war zwei Handvoll Asche in einer Urne, die hinter Glas in einer Nische des Kolumbariums auf dem Ohlsdorfer Friedhof stand.
Und doch war sie ihm gerade erst begegnet. In einer Klarheit, wie sie nur jene Träume besaßen, die man nach dem Erwachen sofort zu verdrängen versuchte, weil sie einem an die innerste Substanz gingen – an das, was manche Leute ihre Seele nannten. Ihr Vater hatte die blaue Trainingsjacke getragen, die sie vor vielen Jahren davor gerettet hatte, von ihrer Mutter in die Altkleidersammlung gegeben zu werden. Die, die immer noch nach ihm roch. Die, die sie in ihrem Schrank versteckt hatte, unter ihrem Turnbeutel. Die, von der sie nicht wollte, dass sie irgendwer anders bekam, der sie angeblich dringender brauchte. Niemand brauchte diese Jacke dringender als sie. Niemand auf der ganzen Welt. Und jetzt hatte sie ihn an dieser Jacke erkannt, weil sein Gesicht nicht mehr sein Gesicht gewesen war. Nur Blut und verbranntes Fleisch und leere Augenhöhlen. Er war vor ihr in die Hocke gegangen, vor der offenen Tür zu einem rot beleuchtetenZimmer, wo zwei nackte Leiber übereinanderlagen. Er hatte ihr die Hände auf beide Schultern gelegt und in diesem besonderen Ton, den nur er traf, weil es sein Ton war, gesagt: »Du willst das nicht sehen, Mäusekind.«
»Ich muss aber«, wiederholte sie.
Sie realisierte träge, dass vom Nachttisch aus eine leise Melodie zu hören war. Ihr Smartphone. Ein Anruf. Sie schaute nicht aufs Display, als sie ihn annahm. »Ja?«
»Verpiss dich, du Schlampe.« Grollende Worte einer Männerstimme bargen mühsam einen rohen, bluttriefenden Hass. »Schaff dich zurück, wo du herkommst. Sonst ficke ich dich richtig. Und nimm diesen alten Wichser mit.«
»Hallo?« Katja fuhr hoch, schlug die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett. »Hallo? Wer ist da?«
Da war niemand mehr. Sie sprach zu einer toten Verbindung.
»Arschloch.« Ihre Stimme bebte. Nicht vor Angst. Vor nackter Wut.
Hinter ihr rührte sich Bernd. »Was?«
Sie checkte die eingegangenen Anrufe. Die letzte Nummer war unterdrückt. Natürlich. »Feigling.« Es war nicht das erste Mal, dass man ihr auf diese Weise drohte. Berufsrisiko, wenn man sich im Zuge seiner Arbeit gezwungen sah, manchen Leuten auf die Pelle zu rücken. Wenn der Kerl eben gedacht hatte, sie würde sich seinetwegen in die Hosen machen, hatte er sich geschnitten. Er war auch nicht kreativer gewesen als die Faschos aus Brandenburg oder die Ultras aus Berlin, denen Katja letztes Jahr zwei ihrer Artikel gewidmet hatte.
»Wer war das?«, fragte Bernd.
»Jemand, der mir einen Riesengefallen getan hat.« Sie knipste die Nachttischlampe an. »Wir sind anscheinend näher dran, als wir dachten.«
Bernd rieb sich die Augen. »Ein Drohanruf?«
»Ja, einer von der Sorte ›Wir wissen, wo dein Auto steht‹.«
»Spitze«, stöhnte Bernd. »Ich vermute mal, wir nehmen uns den nicht zu Herzen, oder?«
»Bin ich bescheuert?« Katja lachte. Sie hatte nicht vor, die wütenden Flammen, die in ihr aufgelodert waren, zu ersticken. Ganz im Gegenteil. »Es wird Zeit, dass wir dem Typen
Weitere Kostenlose Bücher