Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
zeigen, wie eine gründliche Recherche geht.«
52
Als Möhrs durch die Tür von Özens Büro im Keller ihres Instituts trat, führte die Rechtsmedizinerin ein Telefonat in ihrer Muttersprache. Er verstand zwar kein Wort, aber ihr Tonfall und ihre Miene gaben ihm Aufschluss darüber, dass es keine angenehme Unterhaltung für sie war. Sie schaute immer wieder kopfschüttelnd zur Decke, und mal klang sie, als wollte sie energisch einen Vertreter abwimmeln, mal vorsichtig wie eine Untergebene, die ihren Vorgesetzten nicht gegen sich aufbringen durfte. Er befürchtete, dass er sich bei einer ganz bestimmten Person am anderen Ende der Leitung sehr ähnlich anhörte. »Deine Mutter?«, fragte er, nachdem sie nach ungefähr einer halben Minute aufgelegt hatte.
»Mein Vater«, antwortete sie und fügte etwas auf Türkisch hinzu, was nur ein Schimpfwort sein konnte.
»Schlechte Nachrichten?«
»Er spinnt.« Sie rollte auf ihrem Drehstuhl ein Stück nach hinten. »Er hat mir erzählt, er könnte an der Charité ein gutes Wort für mich einlegen. Da wird eine Stelle in der Pathologie frei. Er kennt den Institutsleiter dort. Ein sehr gutaussehender Mann, sagt er.« Sie seufzte. »Und noch nicht verheiratet. Meinst du nicht auch, der wäre was für mich?«
Möhrs begann sich zu fragen, womit er das alles verdient hatte. Erst die Mordserie, dann der Druck, dass Barswickihn inoffiziell schon zu seinem Nachfolger auserkoren hatte, wenn er den laufenden Fall löste, und nun auch noch das. Dieser Tag konnte nicht noch schlechter werden. »Du gehst nach Berlin?«
»Was?« Özen machte ein entsetztes Gesicht. »Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern kann. Das würde meinem Vater so passen.« Sie zeigte auf den Schokohasen in Möhrs’ Hand, den sie offensichtlich erst jetzt bemerkte. »Ist der für mich?«
»Ich hatte dir doch ein Geschenk versprochen.« Er hielt ihr den Hasen hin, und sie nahm ihn, um ihn wenig würdevoll auf dem Drucker auf ihrem Schreibtisch zu platzieren. So hatte Möhrs sich das nicht vorgestellt. »Würde sich dein Vater nicht freuen, wenn du nach Berlin kämst?«
Sie winkte ab. »Lass uns lieber über den toxikologischen Bericht reden, den ich mir noch mal für dich anschauen sollte.«
»Okay«, sagte Möhrs. Hatte er das Recht, enttäuscht darüber zu sein, dass sie abblockte, wo er doch sonst derjenige war, der nicht über sein Innenleben sprechen wollte? Wahrscheinlich nicht. Weh tat es ihm trotzdem.
»Da gab es nichts, was wir nicht schon wussten«, sagte sie. »Peter Frigge hatte geschätzte eins Komma acht Promille, als er gegen den Baum gefahren ist.«
Möhrs pfiff leise durch die Zähne.
»Der Mann war definitiv Trinker«, erklärte Özen. »Sonst hätte man ihn zu seinem Auto tragen müssen, damit er losfahren kann, weißt du.« Sie zuckte die Achseln. »Ich könnte bei den Werten nicht einmal mehr gerade sitzen.«
»Also hat sich die These vom Giftmord erledigt.« Möhrs schürzte die Lippen. »Wenn hier jemand wen vergiftet hat, dann Frigge sich selbst. Schön langsam und in kleinen Dosen.« Er lehnte sich neben dem Leuchtschrank an die Wand. »Aber Frigge ist auch nicht der Mann, bei dem mit bahnbrechenden Erkenntnissen zu rechnen war. Was ist mit der neuen Leiche?«
»Moment.« Özen nahm eine Akte aus einem Ablagekörbchen, schlug sie auf und fing an, Berichte und Bildmaterial in einer sauberen Linie auf ihrem Schreibtisch anzuordnen. Auf einem Großteil der Fotos war für Möhrs’ Geschmack viel zu viel verbranntes Fleisch zu sehen. »Ich müsste da mal eben ran.« Özen zeigte auf den Leuchtschrank.
Möhrs machte ihr Platz. Er wurde das ungute Gefühl nicht los, dass sie sich über seinen Besuch bei ihr heute weniger freute als sonst. Sie klemmte eine Röntgenaufnahme vor die weiß strahlende Fläche. Vor den blassen grauen Schemen von Muskeln und Haut traten die Knochen eines angewinkelten Gelenks deutlich hervor. Noch heller waren fünf dünne, gekrümmte Linien, die sich um das Gelenk herumspannten und eine vage Ähnlichkeit mit langstieligen Haken besaßen.
»Was wir hier sehen, sollte uns dabei helfen, den Toten trotz des Zustands der Leiche zweifelsfrei zu identifizieren.«
»Und was genau sehen wir da?«, wollte Möhrs wissen.
»Eine mit einer Zuggurtungsosteosynthese behandelte Olekranonfraktur.«
»Na dann …«
»Der Tote hatte einmal eine ziemlich komplizierte Fraktur des Ellbogens, und man hat Drähte verwendet, um die Bruchstücke wieder zum Zusammenwachsen zu
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