Das Feuer der Wüste
Schaf war unruhig, tippelte zwischen Ruths Beinen hin und her und ließ kaum den Scherkopf an sich heran. Ruth sah zu Nath, der bereits die Beine seines Schafes geschoren hatte und sich jetzt an den Rücken machte. Er holte die Wolle in langen Streifen herab, sodass ein ganzer Wollteppich entstand. Nath schaffte es bisweilen, ein Schaf im Ganzen zu scheren. Ruth hingegen gelang dieses Kunststück, sooft sie wollte. Und jetzt wollte sie. Jetzt gerade. Sie holte tief Luft und wurde mit einem Mal ruhig. Sie packte das Schaf fester, setzte den Scherkopf an und schor das Tier in einem einzigen Ritt.
»Ja, du schaffst es!«, jubelten Mama Elo und Mama Isa, und Santo hatte ihr schon das nächste Schaf zurechtgestellt.
Ruth sah zu Nath. Auch er war jetzt fertig, sprang auf, hechtete zum Gatter, um das nächste Tier zu holen. Am Tor gab es ein kleines Gerangel, doch Ruth war zwar kompakt, aber flink. Sie schlüpfte durch Naths Beine, packte das Schaf und zog es zum Scherplatz. Sie arbeitete, ohne aufzusehen. Erst der Beifall von Santo, Mama Elo und Mama Isa zwang sie schließlich, aufzublicken. Die Stunde war um. Ruth hatte mit einer halben Schaflänge Vorsprung gewonnen. Sie strahlte und verkniff sich ihre Freude auch nicht, als Nath ihr zerknirscht zum Sieg gratulierte.
»Von ganzem Herzen, Ruth«, sagte er.
»Vom Lügen bekommt man eine lange Nase.«
»Jetzt mal im Ernst. Du hast gewonnen, hast dich ja wirklich tapfer geschlagen. War wohl einfach nicht mein Tag heute. Na ja, wie auch immer. Als Sieger kann man sich dem Verlierer gegenüber ruhig großzügig zeigen.«
Ruth nickte. »Ganz meine Meinung. Du darfst dir ein Bier nehmen.«
»Das meine ich nicht.«
»So?« Ruth stellte sich dumm, klopfte aber demonstrativ mit dem Scherkopf in die linke Hand.
»Du wirst mir nicht wirklich den Kopf scheren, oder?«
Ruth musste ein Lachen unterdrücken, als sie Naths Miene sah. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der für einen Streich zur Rechenschaft gezogen wurde und hoffte, es möge noch einmal Gnade vor Recht ergehen. »Gnade vor Recht, nicht wahr?«
Nath nickte und lächelte zaghaft.
»Tja, mein Lieber, wir sind hier aber nicht in der Kirche. Wettschulden sind Ehrenschulden. Kopf runter!«
Die beiden alten Namafrauen lachten, dass ihre Turbane wackelten. Auch Santo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Da wurde es Nath zu viel. »Haut ab, ihr Affengesichter! Eure Niggerlache macht mich noch ganz raschelig.«
Einen Augenblick hatte Ruth wirklich überlegt, Nath ungeschoren davonkommen zu lassen, doch jetzt knipste sie den Scherkopf an und fuhr mit ihm über Naths gebeugten Kopf, bis auch das letzte Haar gefallen war. Dann schaltete sie das Gerät aus und strich ihm über die Glatze. »So, mein Lieber. Und nur, dass du es weißt: Geschoren habe ich dich nicht, weil du die Wette verloren hast, sondern weil du meine Leute als Affengesichter und Nigger bezeichnet hast. Und jetzt mach dich vom Acker! Froh kannst du sein, wenn ich nicht in der ganzen Gegend herumerzähle, warum du dich von deiner schönen Tolle getrennt hast.«
Sie drehte sich um, spülte die Geräte unter fließendem Wasser ab, noch immer verärgert. Sie wusste zwar, dass es unter den Weißen und ganz besonders unter den weißen Farmern viele gab, die ihre schwarzen Arbeiter nicht wie ihresgleichen behandelten, aber auf Salden’s Hill war das nicht üblich. Hier zählte jeder Mensch erst einmal gleich viel. Wichtig war nur, ob er ein guter und zuverlässiger Arbeiter war oder nicht.
»Ich hab’s nicht so gemeint«, erklärte Nath. »Das mit den Affengesichtern meine ich.«
»Aber gesagt hast du es«, erwiderte Ruth und würdigte ihn weiter keines Blickes. Kurz darauf hörte sie Naths Schritte, das Knallen einer Tür und den Lärm eines startenden Motorrades.
»Gut gemacht, Bass. Danke.« Santo nahm Ruth die Geräte aus der Hand, um sie nach der Reinigung wieder an den Kabeln zu befestigen. Die junge Farmerin winkte ab. Auf einmal war sie unendlich müde.
Windhoek war für Ruth schon immer gleichbedeutend mit der Hölle gewesen, und auch jetzt stand sie bereits seit einigen Minuten vor dem Bahnhof und versuchte krampfhaft, die Straße zu überqueren. Doch kaum hatte sie einen Fuß vorwärtsgesetzt, preschte ein Auto heran, erschreckte sie mit lautem Hupen und scheuchte sie zurück auf die Sicherheit des Bürgersteiges. Menschen wimmelten umher, lachten, schimpften, rempelten sie im Vorbeigehen an. Ein Eselskarren zog vorüber, ein Fahrrad
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