Das Feuer der Wüste
Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Nein. Bitte, lieber Gott, lass das nicht zu. Es muss doch eine andere Lösung geben.« Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Seit Jahren hatte sie nicht mehr geweint, doch nun war das Schlimmste geschehen, das sie sich vorstellen konnte: Ihre Farm, ihr Leben, ihr Traum – alles lag in Trümmern.
Rose räusperte sich. »Es gibt tatsächlich eine Lösung. Aber die wird dir noch weniger gefallen als eine Wohnung in der Stadt.«
»Nichts kann schlimmer sein als eine Wohnung in der Stadt«, erwiderte Ruth.
»Nath Miller hat um deine Hand angehalten. Sein Vater hat seinem jüngeren Bruder Miller’s Run überschrieben. Nun will Nath beweisen, was für ein Kerl er ist. Er hat Geld. Die fünfzehntausend Pfund sind für ihn ein Klacks. Im Übrigen ist der Gegenwert allemal höher als sein Einsatz. Was sagst du?«
Ruth schaute auf. »Du hast recht, es gibt wohl doch etwas, das noch schlimmer ist als eine Wohnung in der Stadt.«
Drittes Kapitel
W ie betäubt taumelte Ruth aus dem Büro. Ihr war übel. Das Unglück lag wie ein Stein in ihrem Magen, drückte ihr die Schultern herunter, trübte ihren Blick. Sie blieb vor dem Herrenhaus stehen, beschirmte mit der Hand die Augen und sah über den Besitz, als sähe sie ihn zum letzten Mal. Die Landschaft, Veld genannt, kam ihr trotz der Morgensonne mit einem Mal müde und alt vor, die Hügelkette am Horizont erinnerte an betagte Männer, die mit geduckten Schultern auf einer Bank saßen, die haarlosen Köpfe gesenkt.
Erneut traten ihr Tränen in die Augen. Salden’s Hill. Ihr Land, ihre Heimat. Sie gehörte hierher und nirgendwohin sonst. Nicht nach Swakopmund, nicht nach Lüderitz und schon gar nicht nach Deutschland. Hier waren ihr Leben, ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und auch ihre Zukunft. Wenn sie Salden’s Hill verlor, verlor sie alles, was ihr je etwas bedeutet hatte. Und sich selbst. Denn Ruth war das Herz von Salden’s Hill. In ihren Adern floss Wüstensand, ihr Herz schlug im Takt der Schafshufe.
Ihr wurde schwindelig, und sie musste sich an einer der Säulen festhalten. Ruth legte ihre Wange an den kühlen Stein, schmiegte sich an die Säule wie an einen Mann, als biete sie die Kraft und Stärke, die sie nun brauchen würde. Was sollte sie nur tun?
Das Blöken der Schafe, das aus den Ställen zu Ruth hinüberdrang, holte sie schließlich aus dem Tal der Traurigkeit zurück in die Gegenwart. Ich werde gebraucht, dachte sie. Noch ist nicht aller Tage Abend. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!
Ruth streckte sich, straffte die Schultern, reckte das Kinn. Sie musste sich zusammenreißen. Es nützte keinem etwas, wenn sie wie ein Häufchen Elend umherschlich und sich selbst bemitleidete. Heute wurden die Schafe geschoren, und da war alle Energie gefragt, die sie aufbringen konnte. Sie zog die Nase hoch, dann stapfte sie entschlossen zu den Ställen hinüber.
Sie war gerade dort angelangt, als mit aufheulendem Motor ein Motorrad in den Hof einbog, eine Geländemaschine, die sie nur allzu gut kannte. Ruth blieb stehen und seufzte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Na, kannst du meine Hilfe brauchen?« Nath Miller riss sich den Helm vom Kopf und grinste.
Sein Mund sieht aus wie ein Scheunentor , dachte Ruth. Was darin verschwindet, taucht nie wieder auf. Sie betrachtete ihn, wie er breitbeinig auf der Maschine hockte. Er strahlte eine Siegesgewissheit aus, um die sie ihn heiß beneidete. Nath Miller. Der Mann, den sie nur heiraten musste, um aller Sorgen ledig zu sein. Bei dem Gedanken schüttelte sie sich ein wenig. »Klar kann ich Hilfe brauchen«, erwiderte sie. Du willst deinen zukünftigen Besitz in Augenschein nehmen, Nath Miller, dein Land und deine Frau. Aber ich werde dir etwas husten. Ich werde es dir so schwer machen, wie es mir nur möglich ist.
Nath stieg von der Maschine, bockte sie auf und schlenderte zu Ruth herüber. Er legte einen Arm um Ruth, um sie an sich zu ziehen, doch sie wich ihm geschickt aus. Naths Grinsen verstärkte sich. »Jetzt zier dich doch nicht so.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein weiches braunes Haar, das er in der Stirn zu einer Tolle frisiert und, wie es Ruth schien, irgendwie festgeklebt hatte.
»An dir könnte man auch eine Menge scheren«, bemerkte sie trocken.
Nath lachte und zog an ihrem Kopftuch, sodass sich ihre wilde rote Lockenmähne zeigte. »Und an dir erst! Aus deiner Wolle würde ich mir nur zu gern ein Paar Socken
Weitere Kostenlose Bücher