Das Feuer der Wüste
stricken.«
»Abgemacht!« Ruth funkelte Nath angriffslustig an und streckte ihm die Hand hin.
»Was ist abgemacht?«
»Wir machen einen Wettkampf. Wer innerhalb einer Stunde die meisten Schafe schert, hat gewonnen. Der Verlierer muss dafür seine Haare lassen.«
»Das meinst du nicht im Ernst, oder?« Nath fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar, als müsse er sich vergewissern, dass es noch da war.
»Doch, das ist mein voller Ernst. Du hast doch sonst immer etwas für Spiele übrig. Was ist? Hast du Angst, nächsten Samstag wie ein Sträfling mit geschorenem Kopf zum Tanz nach Gobabis zu gehen? Willst du nicht wissen, wie es ist, wenn dir die Mädchen einen Kuss auf die Glatze knallen?«
Ruth sah, wie Nath mit sich rang, und es bereitete ihr ein diebisches Vergnügen. »Sagtest du nicht erst vor zwei Tagen, du hättest mich beim Farmerwettbewerb in allen Disziplinen besiegt?«
Nath schluckte. »Also gut. Wenn du unbedingt willst. Ich gewinne ohnehin. Nur um deine Haare tut es mir jetzt schon leid. Du kannst dir sicher sein, dass ich keine Gnade werde walten lassen. Verloren ist verloren, ab ist ab. Wenn du ganz lieb zu mir bist, lasse ich dir vielleicht noch eine Bürste stehen, damit jeder gleich sehen kann, dass du kratzt, wenn man näher kommt. Bist du nicht lieb, kannst du dir von den Männern Küsse auf die Glatze knallen lassen.«
»Abgemacht?« Ruth streckte ihm erneut die Hand hin.
»Abgemacht!« Nath schlug ein.
Dann eilten sie im Laufschritt zum Stall.
Die Scherer, die Ruth bestellt hatte, waren bereits bei der Arbeit. Auf Salden’s Hill gab es vier Scherplätze. Die Schneidemaschinen hingen an einem Kabel von der Decke, sodass die Scherer sich die Schafe bequem zwischen die Beine klemmen konnten und mit dem Scherkopf trotzdem alle Stellen gut erreichten.
Mama Elo und Mama Isa waren ebenfalls im Stall. Sie hatten heute die Aufgabe, die geschorene Wolle zusammenzukehren und in den Nebenraum zu bringen, wo sie von zwei Namafrauen sortiert und später von Ruth klassifiziert wurde.
Santo und drei andere Farmarbeiter trieben die Schafe in die Gatter und von dort zu jeweils einem Dutzend in den Stall. Auf der anderen Seite empfingen vier weitere Arbeiter die geschorenen Tiere und markierten sie.
Nath und Ruth stellten sich nebeneinander an die zwei noch freien Scherplätze und maßen sich mit Blicken. »Bist du bereit?«, fragte Ruth.
»Ich warte nur auf dich«, erwiderte Nath, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und spuckte in die Hände.
»Dann los!«
Auf ein Zeichen seiner Chefin trieb Santo zwei Schafe in den Scherbereich. Ruth rannte los, packte ein Schaf mit einer Hand bei den Vorderbeinen und warf es auf den Rücken. Mit der anderen Hand nahm sie es bei den Hinterbeinen und zog es zum Scherplatz. Dann klemmte sie sich das blökende, dumm um sich blickende Schaf zwischen die Knie und begann sogleich, mit dem Scherkopf an den Beinen entlangzufahren.
Nath stand nur einen Augenblick später am Scherplatz. Er fuhr mit dem Apparat so hastig und hart durch die Wolle, dass das Schaf laut blökte und zwischen seinen Beinen zappelte.
Das Scheren war eine schwierige, schweißtreibende Angelegenheit. Es war so heiß im Scherraum, dass Ruth schon bald der Schweiß zwischen den Brüsten hinablief. Überall an ihrem Overall klebten kleine Wollvliese, Blut und Schafscheiße, ihre Hände waren ebenfalls verschmiert. Dazu kam die gebückte Stellung, in der sie arbeiten musste. Schon nach dem ersten Dutzend Schafe schmerzte ihr der Rücken, doch sie machte weiter, als wäre der Teufel hinter ihr her. Ab und an warf sie einen Blick zu Nath, der ebenfalls nass geschwitzt und mit zusammengebissenen Zähnen seiner Arbeit nachging. Na warte! , dachte Ruth. Dir werd ich’s zeigen.
Mama Elo und Mama Isa wollten sich den Wettkampf natürlich nicht entgehen lassen. Mama Elo hielt einen Wecker in der Hand, den sie normalerweise in der Küche benutzte, um die Eier gerade richtig weich zu kochen oder die Backzeit eines Kuchens zu überwachen. »Dreiundzwanzig Schafe für Salden’s Hill, vierundzwanzig Schafe für Miller’s Run. Los, Ruth, streng dich an, du schaffst es! Noch fünf Minuten!«
Ruth blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, gab dem fertig geschorenen Schaf einen Klaps auf den Hintern, sodass es durch die Klappe ins Freie eilte, und holte sich das nächste Schaf heran. Das arme Tier war mindestens so aufgeregt wie Ruth. Es war, als merkte es, dass es um mehr ging als um ein paar Felle. Das
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