Das Feuer der Wüste
Feuerstein, der mir Bilder vorgaukelt, mit denen ich nichts anfangen kann. Vielleicht ist meine Fantasie einfach überreizt, vielleicht bin ich erschöpft, weil ich das Reisen und Umherfahren nicht gewöhnt bin. Ich sollte nach Hause, sollte einen Teil der Weiden und Herden verkaufen. Wenn das Geld dann noch immer nicht reicht, um die restliche Farm zu erhalten, sollte ich zum alten Miller gehen. Er ist reich; vielleicht gibt er mir ein Darlehen, auch wenn ich seinen Sohn Nath nicht heirate. Wenn er Sicherheiten will, gut, dann werde ich mich, wenn mir nichts anderes einfällt, an Corinnes Mann wenden. Hier, in Lüderitz, kann ich meine Farm nicht retten.
Sie wollte aufstehen und energischen Schrittes die Felsenkirche verlassen, doch sie saß wie angenäht. Tränen traten ihr in die Augen. Sie warf einen Blick zum Altar, spürte die Nässe auf ihren Wangen. Ich kann nicht, dachte sie. Ich kann jetzt nicht einfach aufgeben. Jetzt bin ich hier, jetzt muss ich herausfinden, was damals 1904 auf Salden’s Hill geschah. Als sie an Horatio dachte, flossen ihre Tränen schneller. Bis sie ihn heute Morgen heimlich im Archiv beobachtet hatte, hatte Ruth geglaubt, einen Freund gefunden zu haben. Die beiden Blätter, die er aus dem Ordner herausgerissen und versteckt hatte, hatte er auch vor ihr versteckt. All die schönen Worte, die er über sie gesagt hatte, all die Komplimente, die er ihr gemacht hatte – nichts davon war ehrlich gemeint gewesen.
Sie strich sich mit einer Hand über ihr langes Haar, das leise knisterte. Einmal, dachte sie seufzend, nur ein einziges Mal habe ich mich in Gegenwart eines Mannes nicht plump und dick und hässlich gefühlt. Einmal ist es mir beinahe geglückt, den Worten eines Mannes zu glauben. Doch dann stellt sich heraus, dass er ein Betrüger ist.
Ruth faltete die Hände. Was soll ich nur tun? Sie dachte an ihre Mutter und an Corinne und fand plötzlich wieder Kraft. »Nein, ich will so nicht leben. Ich werde niemals einen unstillbaren Groll gegen meine Vorfahren hegen, ihnen mein ganzes Unglück in die Schuhe schieben. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist, dass jeder eine Geschichte hat, die ihn prägt. Und ich bin aufgebrochen, diese Geschichte zu finden. Warum also sollte ich aufgeben?« Ohne es zu merken, hatte Ruth gesagt, was sie dachte. Und zu ihrer Überraschung fühlte sie sich ein wenig erfrischt. Sie stand auf, verließ die angenehm kühle Kirche, schlenderte an den Schaufenstern der Bismarckstraße vorüber und betrat schließlich ein kleines Café.
Obwohl es mittlerweile Nachmittag war, war das Café gut besucht. Die Tische waren von Weißen besetzt, die Cocktails tranken und sich lauthals unterhielten. Ruth bestellte sich ein Sandwich, dazu eine Cola und eine Portion Biltong und belauschte die Gespräche der anderen Gäste. Sie konnte englische von deutschen und afrikaansen Wendungen unterscheiden.
»Verzeihen Sie bitte, meine Dame, ist hier noch ein Platz frei?«
Ruth sah auf. Vor ihr stand ein junger Mann, dessen blaue Augen leuchteten wie das Meer an einem Sommermorgen. Obwohl Ruth der Sinn nicht nach Gesellschaft stand, nickte sie kurz und wies mit der Hand auf den freien Stuhl. »Bitte sehr.«
»Ist das Biltong zu empfehlen?«, fragte der Mann mit einem Blick auf ihren Teller.
»Es ist nicht besser und nicht schlechter als anderswo«, erwiderte Ruth.
Der Mann lachte auf, wobei sich ein Grübchen in seiner linken Wange bildete. Er strich sich das dunkelblonde Haar aus dem Gesicht und krempelte die Ärmel seines blauen Hemdes so weit nach oben, dass Ruth die teure Uhr erkennen konnte. »Sie haben recht«, sagte er. »Diese getrockneten Fleischstreifen schmecken immer und überall irgendwie gleich – ganz egal, ob sie aus Rind, Oryx, Springbock oder Kudu gemacht worden sind. Nur die Gewürze unterscheiden sich. Das beste Biltong habe ich übrigens in Gobabis gegessen. Kennen Sie die Gegend?«
Ruth, die normalerweise nicht an Kaffeehausgesprächen interessiert war, horchte auf. »Gobabis? Wo da? Etwa in Stephanies Winkel?«
»Ja, genau. Dort war es. Köstlich, einfach köstlich.«
Jetzt lachte Ruth. »Dann haben Sie Biltong gegessen, dessen Fleisch von meinen Rindern stammt.« Sie spürte, wie gut es ihr tat, von zu Hause zu reden. Es war, als hätte sie in all dem Trubel plötzlich einen winzigen Anker gefunden.
»Ach, Sie sind Farmerin?«
»Ja.«
»Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass ich mir echte Farmerinnen
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