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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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genießen – dieser Gedanke war ihr so fremd wie Schnee.
    Horatio kaute unbeeindruckt weiter und angelte sich sogar ein weiteres Brötchen aus dem Korb, während Ruth ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte.
    »Was genau suchen wir eigentlich heute?«, fragte Ruth und zog den Korb mit dem letzten Brötchen zu sich.
    »Nun, Ihr Großvater wurde 1904 ermordet. Der erste Diamant wurde 1908 beim Bau der Eisenbahn gefunden. Wir sollten also in Erfahrung bringen, was in den Jahren geschah, in denen Ihr Großvater in dieser Gegend unterwegs war.«
    »Aha«, sagte Ruth und stützte wieder das Kinn in ihre Hand. Sie hatte sich in der Nacht ähnliche Gedanken gemacht. Woher zum Beispiel hatte ihr Großvater das Geld für Salden’s Hill gehabt?
    Ruth dachte daran, was sie in einer ihrer Visionen gehört und gesehen hatte. Wieder griff ihre Hand nach dem Stein. Sie seufzte. Es widerstrebte ihr, den Bildern zu glauben, die der geheimnisvolle Feuerstein von Mama Elo ihr vor die Augen zauberte. Ruth hatte nichts, aber auch gar nichts mit übersinnlichen Dingen am Hut. Sie glaubte nur, was sie sehen und anfassen konnte. Und dennoch … Es war, als wäre die Vergangenheit ihrer Großeltern in Mama Elos Stein gefangen. Wie oft hatte sie in den Nächten nach den seltsamen Bildern über sich selbst gelacht, ihren Aberglauben ins Lächerliche gezogen. Ich bin schon wie eine Schwarze, hatte sie gedacht. Demnächst werde ich meine Rinder heiligsprechen lassen und mit Sie anreden, damit mir der Feuergott nicht zürnt.
    Doch allem Spott zum Trotz, mit dem sie sich zu schützen suchte, glaubte ein Teil in ihr an die Bilder, glaubte ein Teil in ihr an Kräfte, die man nicht sehen und anfassen konnte. Mama Elos und Mama Isas Geschichten machen mich ganz wirr im Kopf, hatte sie sich getröstet und gleichzeitig gewusst, dass dies nicht der Wahrheit entsprach.
    »Ich glaube«, sagte sie jetzt so vorsichtig, als fürchte sie, die Worte könnten ihr im Mund zerbrechen, »dass mein Großvater zum Goldsuchen in die Walfischbucht gegangen ist. Und als er von dort wiederkam, hat er die Farm gekauft und meine Großmutter geheiratet.«
    Horatio nickte, als wäre er davon wenig überrascht. »Hat er Gold mitgebracht?«
    Ruth schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Ich glaube nicht. Mama Elo und Mama Isa hätten sicher irgendwann einmal von Gold gesprochen. Und meine Mutter besitzt nur Schmuck aus Perlen und Platin. ›Gold‹, sagt sie immer, ›ist der Reichtum der armen Leute. Protzklunkern.‹«
    Ruth lachte ein wenig.
    »Dann wird Ihr Großvater wohl alles Geld in die Farm gesteckt haben.«
    Ruth nickte, stand auf. »Lassen Sie uns arbeiten. Wir haben dem lieben Gott schon genug Zeit gestohlen.«
    Der schwarze Wachmann im Archiv war nicht weniger misstrauisch als am Tag zuvor. Er ließ sich noch einmal ihre Pässe zeigen, notierte die Daten erneut und begleitete sie missmutig zu ihren Schreibtischen. »Sie zeigen mir die Akten, die Sie einsehen. Haben Sie das verstanden?«, knurrte er.
    »Warum?«, fragte Ruth. »Was geht es Sie an, was wir lesen?«
    »Pscht!« Horatio stellte sich einen Schritt vor Ruth und zwinkerte ihr beruhigend zu. »Meine Kollegin ist noch neu und unerfahren mit der Arbeit in Archiven. Selbstverständlich zeigen wir Ihnen jede Akte, bevor wir sie lesen, und danach jede einzelne Notiz.«
    Der Wachmann nickte grimmig und trollte sich zurück an seinen Tisch.
    Ruth studierte die Chronik von Lüderitz weiter, doch sie fand keinerlei Hinweise auf ihre Großeltern. Wie auch?, dachte sie. Wolf Salden war ja nie hier.
    Dass sie auch keine Einträge fand, die von ihrer Großmutter kündeten, war schon etwas seltsamer. Ruth überlegte, was sie machen würde, hätte sie einen so großen Diamanten gefunden. Auf der Flucht, nichts an Besitz als diesen Stein. Zu einem Straßenhändler, einem sogenannten Diamanten-Digger, würde sie damit nicht gehen, das wäre viel zu auffällig. Im Übrigen war auch nicht damit zu rechnen, dass ein einfacher Diamantenhändler genug Geld für einen Stein hätte, der so groß war wie das »Feuer der Wüste«.
    Ich würde zu einer Diamantmine gehen. Dort verfügen sie über die besten Kontakte, und überdies fallen wohl auch die ganzen Provisionen weg, überlegte Ruth. Vielleicht finde ich also ein paar Notizen über meine Großmutter in den Jahren nach 1904.
    Ohne es zu merken, hatte sie bereits Horatios wissenschaftliche Vorgehensweise übernommen. Sie blätterte die Seiten vor und

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