Das Feuer der Wüste
Boden, andere wurden am Hals lediglich von einem breiten Band zusammengehalten.
Vorsichtig befühlte Ruth den Stoff, der ihr wie fließendes Wasser durch die Hände glitt. Rein und kühl. Sie dachte an ihre Einkäufe in Bemans Bekleidungsgeschäft in Gobabis, einem verwinkelten Eckladen, den sie notgedrungen einmal im Jahr betrat. Sie probierte dann immer eine schwarze Stoffhose an, dazu eine weiße Bluse, ließ sich von beiden je zwei Stück einpacken. Dazu kaufte sie noch weiße Shirts im Dutzendpack und drei Arbeitsoveralls. Wenn sie in übermütiger Stimmung war, erstand sie vielleicht noch eine Jeans und ein rotes T-Shirt, doch etwas anderes hatte sie bisher nie gekauft.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Bitte?« Ruth hatte die Verkäuferin nicht kommen sehen, die sie möglichst unauffällig von Kopf bis Fuß musterte. Ruth wurde der Blicke dennoch gewahr und sah nun auch selbst an sich herab. Plötzlich verstand sie nicht mehr, wie ein so gutaussehender Mann ein plumpes Mädchen wie sie in verknitterten, praktischen und in keiner Weise schicken Sachen zum Essen einladen konnte. Ob er sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte? Ruth fröstelte. Der Blick der Verkäuferin bestätigte nur allzu sehr, was sie selbst heimlich dachte.
»Für welchen Anlass suchen Sie etwas? Soll es ein Kleid sein oder ein Kostüm oder eher etwas Sportliches?«
Ruth schluckte. »Das weiß ich eigentlich auch nicht. Ein Kleid vielleicht.« Sie war so eingeschüchtert, dass ihre Stimme ein wenig zitterte.
»Für einen Ball oder eher für eine nachmittägliche Cocktailparty? Oder ist es für einen feierlichen Anlass, eine Hochzeit vielleicht?«
»Nein, eher für ein Abendessen.«
»Eine Gesellschaft?«
Ruth presste die Lippen zusammen, wünschte sich weit weg und schüttelte den Kopf.
»Ach, ich verstehe.« Die Verkäuferin nickte. »Es handelt sich wohl um ein romantisches Dinner zu zweit.«
Ehe die Frau noch mehr Vermutungen über Ruths Privatleben anstellen konnte, riss Ruth das rote Kleid von der Stange, hielt es sich an und betrachtete sich im Spiegel. »Das hier möchte ich anprobieren.«
Die Verkäuferin wiegte den Kopf hin und her. Ihr war anzusehen, dass sie von Ruths Wahl nicht überzeugt war. Dennoch sagte sie: »Ziehen Sie es an. Die Umkleidekabinen befinden sich hinten rechts.«
Ruth nickte und ging zu den Kabinen. Es dauerte, bis sie ihre Sachen aus- und das rote Kleid angezogen hatte. Dann trat sie erwartungsvoll vor den Spiegel. Doch sie sah darin nicht, was sie erwartet hatte: keinen neuen Mensch, nur eine Farmersfrau in einem Kleid, das aussah, als wolle sie zum Farmersball gehen. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, drehte sich nach links und nach rechts, doch es blieb, wie es war.
Die Stimme der Verkäuferin drang durch den roten Plüschvorhang. »Ist alles recht? Sind Sie zufrieden?«
Zufrieden? Nein, zufrieden war Ruth nicht. Sie hatte sich etwas anderes erhofft. Etwas, das sie aus Corinnes Zeitschriften kannte: das hässliche Entlein, das – schwups, in ein neues Kleid gehüllt – zum schönen Schwan wird. In ihrem Fall eine glatte Lüge. Sie hatte es geahnt, aber nicht wahrhaben wollen. Ruth zog den Vorhang zur Seite. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie und sah hilflos an sich herab.
Die Verkäuferin lächelte. »Sie haben so wundervolles Haar. Sie sollten es leuchten lassen. Schauen Sie her, meine Liebe, das rote Kleid nimmt Ihrem Haar den Glanz. Rot und Rot, das harmoniert selten. Hier, sehen Sie sich dieses grüne Kleid an.« Die Frau lächelte sie freundlich und aufmunternd an.
Zögernd griff Ruth zu, hielt es sich vor. »Aber der Ausschnitt!«, sagte sie fassungslos. »Da kann ich mir ja gleich ein Schild mit der Aufschrift ›Sonderangebot‹ umhängen.«
Die Verkäuferin kicherte. »Probieren Sie es an, meine Liebe. Der Ausschnitt muss gefüllt werden. Ich habe da keine Befürchtungen.«
Ruth seufzte, schlüpfte aber in das Kleid.
»Machen Sie Ihr Haar auf«, riet die Verkäuferin von draußen.
Ruth löste die Spange, lockerte ihre Mähne, reckte das Kinn, streckte den Rücken. Und auf einmal schaute ihr aus dem Spiegel die Frau entgegen, die sie schon immer gern sein wollte. Zumindest manchmal. Eine Frau, nicht schön, aber wild und weiblich.
»Das ist es!«, jubelte sie und riss den Vorhang zur Seite.
»Nicht schlecht«, staunte die Verkäuferin. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass Ihnen Grün gut steht. Haben Sie auch feine Wäsche dazu?«
Ruth runzelte die Stirn. »Was soll
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