Das Feuer der Wüste
Interesse an dem, was Sie tun?«
Ruth nickte.
»Dann sollten Sie hingehen. Was kann schon passieren? Sie werden gut essen, werden Komplimente bekommen, vielleicht sogar Champagner trinken. Und wenn Ihnen an ihm wider Erwarten doch etwas nicht gefällt, nun, so bestellen Sie sich noch im Restaurant ein Taxi und fahren zurück in Ihre Pension. Also? Wovor haben Sie Angst?«
Ruth lächelte schief. »Sie haben recht. Was habe ich schon zu verlieren? Im Gegenteil: Endlich erlebe ich auch einmal ein Abenteuer.«
»So ist es gut, meine Liebe. Man sollte Versuchungen nie aus dem Weg gehen. Wer weiß, ob sie wiederkommen. Und jetzt setzen Sie sich hierher. Was immer auch passiert: Heute Abend jedenfalls werden Sie einfach nur hinreißend aussehen. Einen Moment, ich bin gleich wieder da.«
Während die Verkäuferin hinter einem Vorhang verschwand, ließ Ruth sich schicksalsergeben auf einen Stuhl sinken. Die Frau hatte recht. Sie konnte jederzeit aufstehen und gehen. Und wenn sie erst einmal zurück auf der Farm war, konnte sie womöglich sogar mitreden, wenn sich ihre Altersgenossinnen einmal wieder über ihre Lieblingsthemen unterhielten. Es tat sicherlich gut, einmal nicht im Abseits zu stehen. Und wenn es dafür notwendig war, sich ein Kleid zu kaufen und sich schminken zu lassen …
»So, da bin ich wieder«, unterbrach die Verkäuferin Ruths Gedanken. Sie hatte ein kleines weißes Plastikkästchen mit einer schwarzen Paste mitgebracht, die Ruth an Schuhcreme erinnerte. Dazu ein winziges Bürstchen. »Machen Sie die Augen schön weit auf, und versuchen Sie, nicht zu blinzeln«, mahnte sie. Dann fuhr sie mit dem Bürstchen in Ruths Wimpern umher, dass Ruth meinte, sie müsse am Ende der Prozedur unweigerlich blind sein. Doch da nahm die Frau schon einen Stift aus ihrer Tasche und machte sich an Ruths Augenbrauen zu schaffen. Zum Schluss schraubte sie einen Lippenstift auf und umrundete damit Ruths Mund. »So, jetzt sind Sie fertig, meine Liebe. Wollen Sie sich einmal anschauen?«
Sie hielt Ruth einen kleinen Spiegel vor, und Ruth sah staunend hinein. »Das bin ich ja«, stellte sie überrascht fest.
»Ja, das sind Sie. Wunderschön, nicht wahr?«
Ruth antwortete nicht, aber sie hätte zu gern genickt. »Sagen Sie«, fragte sie schüchtern. »Ist das schwierig? Das Schminken, meine ich?«
Die Verkäuferin lachte. »Aber nein, die Übung macht’s. Eigentlich ist es ganz einfach. Sie brauchen nur ein bisschen Tusche für Ihre Wimpern. Dazu mischen Sie einen Tropfen Wasser in das schwarze Kästchen. Wenn kein Wasser da ist, reicht auch Spucke. Mit dem Bürstchen tragen Sie die schwarze Creme auf. Hier, das ist ein Augenbrauenstift. Damit stricheln Sie Ihre Brauen ein wenig nach, das umrahmt Ihre Augen. Und zum Schluss ein bisschen Lippenstift. Nicht so grell und nicht zu rot, damit sich der Farbton nicht mit Ihren Haaren beißt. Und vergessen Sie nicht: Der Lippenstift ist nicht kussecht.«
Ruth kicherte. »Ich nehme das schwarze Bürstchen und den Lippenstift vielleicht beim nächsten Mal«, sagte sie. »Das Kleid soll für heute genügen.«
Als sie einige Minuten später bezahlte, versuchte Ruth, das schlechte Gewissen zu unterdrücken. Sie hatte sich kurzerhand doch noch entschieden, auch die Schminkutensilien mitzunehmen, und musste sich zwingen, die Summe nicht in Kraftfutter oder Weidezaunrollen umzurechnen. Doch als sie sich von der freundlichen Verkäuferin verabschiedete und das Geschäft verließ, gewann der Trotz in ihr die Oberhand. Warum soll ich mir nicht auch einmal etwas gönnen?, fragte sie sich. Würde Corinne an meiner Stelle die Farm leiten, gäbe es schließlich mit Sicherheit mehr winzige Nachthemdchen auf Salden’s Hill als Schafe.
Elftes Kapitel
R uth schlenderte durch die Straßen und schwenkte übermütig ihre Tüten mit dem neuen Kleid, den Schuhen und der Schminke. Jedes Mal, wenn sie an einem Schaufenster vorbeikam, betrachtete sie sich darin. Vor Freude über ihr neues Selbst und vor Vorfreude auf den Abend hätte sie am liebsten laut gejuchzt. Ihr Magen fühlte sich an, als wäre er voller Brausepulver. Corinne hatte immer wieder von diesem Prickeln gesprochen, und Ruth hatte jedes Mal so getan, als wüsste sie genau, wovon die Rede war. Doch erst jetzt kannte Ruth dieses Gefühl selbst. Mit einem Mal schien es ihr, als würden sie die Menschen in der Lüderitzer Bismarckstraße allesamt wohlwollend anlächeln.
Lüderitz, dachte Ruth, Lüderitz ist eine wunderschöne Stadt. Ich
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