Das Feuer der Wüste
durch ihre Finger glitt.
»Ich hatte vergessen, Ihnen zu sagen, dass wir mit meinem Wagen fahren. Nun, und ich dachte, dass es Ihnen vielleicht während der Fahrt zu kühl werden könnte. Deshalb der Schal. Sie sehen, ich versuche damit nur, meinen eigenen Fehler auszubügeln.«
Ruth brachte es nicht über sich, sich bei ihm zu bedanken. Sie ließ den feinen Stoff wieder und wieder bewundernd durch ihre Finger gleiten, ängstlich bemüht, ihn nicht auf der Stelle zu zerreißen. Dann breitete sie den Schal aus, legte ihn sich um die Schultern und war erstaunt, dass sich der Stoff so zart wie Badeschaum anfühlte. Und plötzlich hatte Ruth keine Sorge mehr, ein hässliches Entlein zu sein. Sie fühlte sich schön. Der Schal, dieses kostbare, zerbrechliche Etwas, das sich auf ihrer Haut so natürlich anfühlte, machte sie schön. Das Kichern der beiden Mädchen, die bewundernden Blicke, mit denen sie Henry Kramer verschlangen, machten sie schön. Das Kleid, der attraktive Mann, das teure Auto – all diese Dinge bewirkten, dass sich Ruth ebenfalls kostbar und wertvoll fühlte.
Henry Kramer sah sie prüfend an, doch noch immer konnte Ruth kein Wort des Dankes hervorbringen. »Wollen Sie nicht losfahren?«, fragte sie schließlich. »Ich sterbe vor Hunger.«
»Ganz, wie Madame wünscht.«
Henry Kramer gab Gas, und schon glitten sie durch die Stadt Lüderitz, in Richtung der Felsenkirche.
»Wohin geht es?«, fragte sie.
»Oh, zu einem Hotel direkt am Strand. Ich weiß ja, dass Sie gutes Essen lieben. Essen, ja, das gehört ohne Frage zu den schönsten Dingen des Lebens. Man sollte hin und wieder aus einer Mahlzeit ein Fest machen. Und heute ist genau der richtige Tag dafür, finden Sie nicht auch?«
Sie hielten vor einem steinernen Bau direkt am Meer. Die Wellen brandeten sanft an den Strand, Möwen flogen schreiend über ihre Köpfe.
»Und?«, fragte Kramer. »Gefällt es Ihnen?«
Ruth betrachtete das wärmende Licht, das von einer Vielzahl von Fackeln ausging, die rund um einen kleinen Pool in den Boden gesteckt waren. »Ja«, sagte sie. »Es gefällt mir gut hier.« Sie stieg aus, stakste mit ihren neuen schwarzen Riemchenpumps über den Schotter, knickte einmal beinahe um, sodass Henry ihren Arm nehmen musste.
»Glauben Sie mir jetzt, dass diese Art Schuhe von Männern ersonnen wurde?«, fragte er.
Ruth nickte wortlos und ließ es verwundert zu, dass er ihr den Arm um die Taille schlang.
Kramer hatte in einer windgeschützten Nische der Terrasse einen Tisch für zwei Personen bestellt. Er war bereits eingedeckt, mit feinem deutschem Porzellan, Gläsern aus Kristall, Silberbesteck und einem Tafeltuch aus Damast. In der Mitte prangte ein silberner Leuchter, der sanftes Kerzenlicht verströmte. Es roch nach Oleander.
Der Wind, der die Nische erreichte, war warm und mild. Am Himmel glitzerten die Sterne wie ein kostbares Diamantkollier.
»Es ist wirklich wunderschön hier«, sagte Ruth leise.
»Der richtige Rahmen für eine schöne Frau?«
Der Kellner kam, reichte die Getränkekarte, doch Kramer beachtete sie nicht, sondern bestellte, ohne Ruth zu fragen, zwei Gläser Champagner als Aperitif.
Der Sekt kam, sie stießen an. »Auf weitere traumhaft schöne Abende mit Ihnen«, brachte er als Toast aus.
Ruth hätte gerne etwas erwidert, doch sie wusste nicht, was. Sie fühlte sich ein wenig überfahren. Kramer hatte die Leitung des Abends in seine Hände genommen, und Ruth blieb nur übrig, alles zu bewundern. Das war sie nicht gewohnt, und es irritierte sie. Gleichzeitig aber genoss sie es, einmal nicht für alles verantwortlich zu sein, einmal die Dinge geschehen zu lassen und sich der Leitung eines Mannes anzuvertrauen. Und wer verdiente ihr Vertrauen mehr als Henry Kramer? Ein Mann, der sogar an einen Schal für ihre nackten Schultern gedacht hatte.
»Danke«, sagte sie einfach, aber Kramer schüttelte den Kopf. »Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Nicht jeden Tag habe ich die Gelegenheit, eine Meerjungfrau zum Essen auszuführen. Und da sind wir gleich beim Thema. Mögen Meerjungfrauen Austern? Oder essen sie außerhalb des Wassers lieber Fleisch?«
Ruth hatte noch nie Austern gegessen; wo sollte sie auf Salden’s Hill auch welche herbekommen? Fleisch dagegen aß sie zu Hause fast jeden Tag, sodass sie wahrhaftig neugierig war auf das Meeresgetier, von dem sie schon so viel gehört hatte und ohne das, wie sie von Corinne wusste, die Schönen und Reichen dieser Welt nicht leben mochten. Aber wie aß
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