Das Feuer der Wüste
bin hier eine ganz andere als in Gobabis. Kann eine Stadt einen Menschen verändern?
»Ruth! Ruth! So warten Sie doch.«
Ruth erschrak, blieb stehen und wandte sich nach dem Rufer um. Horatio kam auf sie zu gerannt, die Brille verrutscht, das Haar wirr, als hätte er die letzten Stunden im Archiv zugebracht und sich die Haare gerauft.
»Was ist?« Ruth bemühte sich, so hoheitsvoll zu schauen, wie sie es vermochte. Sie reckte das Kinn, streckte den Rücken, bog die Schultern nach hinten.
Kurz vor ihr stoppte Horatio. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, als er sie sah. Er betrachtete ihr Gesicht, ihr offenes Haar, und sein Mund verzog sich zu einem breiten weißzahnigen Lächeln.
»Wenn Sie mir etwas mitteilen wollen, dann beeilen Sie sich«, sagte Ruth ruppig. »Ich habe heute Abend eine Einladung zu einem romantischen Dinner.«
Vom einen auf den anderen Moment verfinsterte sich Horatios Gesicht. »Mit wem?«, fragte er.
»Das geht Sie nichts an. Ich frage Sie ja auch nicht, was Sie treiben, wenn ich gerade nicht dabei bin.« Die eilig versteckten Blätter fielen ihr ein, ihre Kränkung darüber, dass er ihr etwas offenbar Wichtiges verheimlichte.
»Gut.« Horatio nickte, nun ebenfalls beleidigt. »Ich wollte Ihnen nur etwas sagen, das für Sie vielleicht von Bedeutung sein könnte. Aber wenn Sie Wichtigeres vorhaben …«
»Und was?« Ruth warf hochmütig ihr Haar in den Nacken.
Horatio trat einen Schritt näher, sah ihr ins Gesicht. »Was ist mit Ihnen passiert? Sie sehen verändert aus. Ist Ihnen schlecht?«
Ruth schluckte. »Ich bin geschminkt. Das ist alles. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich bin in Eile.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte sie mit einem Nicken an Horatio vorbei.
»Gehen Sie auf den Markt!«, rief er ihr hinterher. »Tun Sie es gleich.«
»Was? Ich war schon einkaufen.«
»Gehen Sie auf den Markt. Dort steht ein Junge, ganz am Rand. Er trägt eine Kette, die Sie interessieren könnte.«
»Pfft!«, machte Ruth. »Ich habe schon eine Kette.«
»Gehen Sie dorthin!«, drängte Horatio. »Sie werden schon sehen, dass es wichtig ist.«
Ruth nickte kurz, ohne sich umzusehen, und bog um die nächste Ecke. Dort sah sie auf ihre Armbanduhr. Es war schon spät, die ersten Läden ließen ihre schweren Eisengitter herunter. Sie hatte nur noch eine Stunde Zeit, um sich auf den Abend mit Henry Kramer vorzubereiten. Eine Stunde, um zu duschen, das neue Kleid anzuziehen, ihr Haar zu bürsten, die Nase zu kürzen, zehn Kilo abzunehmen und ihre Füße um zwei Nummern zu verkleinern. Unmöglich, all das zu schaffen. Erst recht unmöglich, vorher noch auf dem Markt vorbeizugehen. »Ach«, murmelte sie verächtlich. »Soll der Teufel die Kette holen! Morgen ist auch noch ein Tag.«
Sie schlüpfte in die Pension, warf der Inhaberin einen übermütigen Gruß zu und verschwand nur wenige Augenblicke später mit einem Handtuch in der einzigen Dusche, die am Ende des Flurs lag.
Später stand sie in ihrem Zimmer, bürstete das Haar mit langen Strichen, bis es weich und wellig über ihren Rücken floss. Sie betrachtete sich im Spiegel, der in der Innenseite des Schrankes hing. Ihr Gesicht war ein helles Oval, fast weiß, aber mit einem rosa Schimmer, darin Hunderte braune Pünktchen. Wie Fliegenschisse, dachte Ruth und verzog das Gesicht. Die schwarz getuschten Wimpern wirkten wie Fliegenbeine, die dunklen Augenbrauen wie quer gelegte Ausrufungszeichen. Sie biss sich auf die Lippen, wie sie es von Corinne gelernt hatte, um ein wenig Farbe hineinzubringen, doch die schöne Frau aus der Boutique war verschwunden. Auch das Kleid, vorhin noch ein Traum, hing an ihr herunter, als wolle es von ihrem Körper fliehen.
Ruth verstand nicht, was die Veränderung ausgelöst hatte. War die Boutique verhext? War alles, was sie dort gesehen hatte, nur ein Traum gewesen? Hatte sich der schöne Schwan unbemerkt wieder in ein hässliches Entlein verwandelt?
Ruth schluckte und biss die Zähne zusammen. »Ich werde heute Abend eine schöne Frau sein«, knurrte sie leise. Sie richtete sich auf, nahm die Schultern zurück – und siehe da: Die Brüste waren mit einem Mal weniger rund, das Kleid nicht mehr labberig. Dafür zeigte ihr Spiegelbild so viel unbedeckte Haut, dass Ruth sich fast nackt vorkam. Sie griff in den Schrank, wollte ihre geliebte graue Stickjacke herausholen, doch sie sah selbst, dass diese ganz und gar nicht passte. Da friere ich doch lieber.
Sie stieg in die Schuhe und
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