Das Feuer der Wüste
Wert. Doch das war sie nicht. Der Stein war ihr egal.
»Und Sie haben nie wieder etwas von Ihrer Großmutter gehört?«
»Nein.«
»Warum suchen Sie dann ausgerechnet in Lüderitz nach ihr?«
Ruth lächelte. »Ein alter Mann, der meine Großmutter kannte, hat gesagt, ich solle hierher fahren. ›In Lüderitz‹, sagte er, ›beginnen und enden alle Spuren.‹«
Henry Kramer verzog das Gesicht. »Wie kommt er darauf, der alte Mann?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht weiß er mehr, als er gesagt hat. Jedenfalls bin ich nun in Lüderitz. Ich war im Archiv des Diamond World Trust.«
»Und?« Henry Kramer wirkte mit einem Mal angespannt. »Was haben Sie dort gefunden?«
Ruth hob die Schultern. »Nichts.«
Henry Kramer lehnte sich zurück. »Und? Wollen Sie weitersuchen?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich ist meine Großmutter schon lange tot, und ich vertue hier meine Zeit, anstatt um Salden’s Hill zu kämpfen. Ich sollte zurückfahren. Meine Jungschafe sind bockig, vielleicht gelingt es mir, die Lämmer für einen guten Preis zu verkaufen und so ein Stück Land zu erhalten.«
Henry Kramer nickte. Er griff nach ihrer Hand, drückte sie leicht. »Ja, alte Geschichten können auch Enttäuschungen bringen. Ihre Farm scheint Sie zu brauchen.«
Ruth zog die Augenbrauen hoch. »Sie wollen also auch, dass ich zurück nach Salden’s Hill fahre?«, fragte sie.
Henry Kramer lachte. »Um Gottes willen, nein! Ich würde alles dafür geben, Sie noch eine Weile in Lüderitz zu halten. Sehen Sie, Ruth, ich mag Sie so gern, dass ich nicht einmal eigennützig sein kann. Aber wenn Sie es mir gestatten, so können Sie sicher sein, dass ich jede Stunde mit Ihnen genieße und nur eines hoffe: nämlich, dass die Zeit stillsteht. Und wenn ich Ihnen bei Ihrer Suche irgendwie behilflich sein kann, dann scheuen Sie sich nicht, es mir zu sagen.«
Ruth dankte mit einem Kopfnicken. Das waren genau die Worte, auf die sie gewartet hatte. Es tat so gut, in Henrys Nähe zu sein. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart so verstanden und geborgen wie bei keinem anderen Mann zuvor.
Das Hauptgericht unterbrach Ruths Gedanken, der Kellner servierte es mit ausdrucksloser Miene. Während des Essens herrschte Schweigen. Ruth war sich nun beinahe sicher, dass es wirklich besser wäre zurückzukehren. Aber dann würde sie auch Henry Kramer nicht wiedersehen. Es würde keine romantischen Abende mehr geben, niemanden, der ihr sagte, dass sie schön und unterhaltsam und echt wäre. Sie seufzte.
»Was ist?«, fragte der Mann.
»Nichts«, erwiderte Ruth. »Es ist nur so schön hier, so schön mit Ihnen, dass ich nur ungern daran denke, dass alles bald vorbei sein wird.«
Kramer nahm erneut ihre Hand. »Das muss es nicht, Ruth Salden. Ich habe in Ihnen einen Schatz gefunden. Und einen Schatz gibt man nicht wieder her. Gobabis liegt nicht aus der Welt.«
Ruth schluckte und senkte die Augen.
Der Kellner kam, räumte die Teller ab, goss kühlen Weißwein in die Gläser. Im selben Augenblick erklang Musik. Ein kleines Streichquartett war auf die Terrasse getreten und spielte nun zum Tanz auf.
Henry Kramer stand auf, knöpfte sein Jackett zu und verbeugte sich galant vor ihr. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
»Ich … Ich kann nicht tanzen.«
»Ruth, dies ist ein Walzer. Es gibt keine Frau, die nicht Walzer tanzen kann, sondern nur Männer, die es nicht verstehen, die Frauen zu führen. Kommen Sie, vertrauen Sie mir.«
Er zog sie hoch, legte ihr den Arm um die Taille. Und Ruth tanzte Walzer. Es war, wie er gesagt hatte. Ihr Körper reagierte auf den sanftesten Druck seiner Hände, drehte sich nach links, nach rechts. Sie fühlte sich schlank und anmutig in seinen Armen. Es schien, als gehorchten ihre Füße plötzlich einer Macht, die sie bisher nicht kannte. Alles in ihr, alles an ihr wurde Musik.
Als der Walzer zu Ende war, stand sie ein wenig außer Atem vor Kramer, sah ihn mit leuchtenden Augen an. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, erwiderte ihren Blick. Dann kam er langsam näher. Ruth sah seine Lippen, den weichen Mund, der einen gierigen Zug hatte, aber ach, er war so glatt und so weich und so nahe. Und als seine Lippen ihren Mund berührten, schmetterlingszart, einem warmen Windhauch gleich, da schloss sie die Augen und neigte sich ihm entgegen.
Zwölftes Kapitel
R uth trällerte vor sich hin, als sie die Treppen der Pension hinaufschwebte, die schwarzen Riemchenpumps schlenkerten in ihrer rechten
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