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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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köstlich! Wie das Wasser aus dem Hafenbecken! Wissen Sie was? Sie haben recht. Austern schmecken nicht. Wahrscheinlich denken alle Leute wie Sie, aber niemand wagt es, das auszusprechen. Fort mit den Austern!« Er machte dem Kellner ein Zeichen und bat, die Austern wegzuräumen.
    »Sind sie nicht recht, mein Herr?«, fragte der Kellner irritiert.
    »Sie schmecken wie das Dreckwasser im Hafenbecken«, erklärte Henry Kramer und lachte noch einmal los, als er das verdutzte Gesicht des Kellners sah.
    »Soll ich Ihnen frische bringen?«
    »Nein, danke. Bringen Sie uns einfach einen Teller Antilopensteaks und Pommes frites dazu.«
    Als der Kellner mit den Austern verschwunden war, rutschte Ruth unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her. »Ich habe etwas Falsches gesagt, nicht wahr? Ich habe mich und Sie gerade eben furchtbar blamiert.«
    »Nein, denken Sie doch so etwas nicht.« Er griff über den Tisch nach ihrer Hand, strich sanft darüber. »Das meinte ich vorhin: Sie sind echt. Sie sagen, was Sie denken, lassen sich vom schönen Schein nicht trügen.«
    »Danke«, sagte Ruth, weil sie glaubte, es in einem solchen Moment sagen zu müssen. Dabei fühlte sie sich nach wie vor nicht sonderlich außergewöhnlich.
    »Sie haben mir heute Nachmittag eine Frage nicht beantwortet«, wechselte er das Thema. »Was hat Sie nach Lüderitz verschlagen? Was machen Sie hier?«
    Ruth winkte ab. »Ach, ich muss einiges erledigen.«
    »Und das können Sie nicht in Windhoek oder Gobabis? Die beiden Städte liegen doch viel näher. Oder sind Sie doch eine Meerjungfrau, die es immer wieder zurück in die Heimat zieht?«
    Ruth sah zum Meer hinüber. Sie hörte die Brandung, roch die salzige Luft. Dann schüttelte sie den Kopf. »Inzwischen weiß ich nicht mehr genau, was ich eigentlich hier will. Oder wollte.« Im gleichen Augenblick wurde Ruth bewusst, dass sie die Wahrheit sprach. Es gab noch mehr im Leben als die Farm. Noch war sie sich dieser Erkenntnis nicht ganz sicher, aber die leise Ahnung in ihrem Inneren ließ sich nicht mehr verdrängen. Ihr war, als sähe sie das Leben plötzlich mit anderen Augen. Es gab so viel, von dem sie nichts wusste. Und auf einmal verspürte sie große Lust, die Welt kennenzulernen und die Menschen, die in ihr lebten.
    Henry Kramer legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich leicht zu ihr hinüber. »Und aus welchem Grund sind Sie aufgebrochen?« Sein Gesicht war aufmerksam und konzentriert, sein Blick ruhte wohlwollend auf ihr.
    Ruth zuckte mit den Schultern. »Ich wollte weg. Zu Hause war es plötzlich so kompliziert.«
    »Was heißt das?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Henry Kramer. »Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie mich an Ihrem Leben teilhaben ließen.«
    Ruth starrte ihn verblüfft an. Sie hasste es, wenn Menschen nur von sich selbst redeten, und ihm war es eine Ehre , ihre Geschichte anzuhören! So etwas hatte sie noch nie erlebt. Horatio hatte zwar ebenfalls Anteil an ihrem Leben genommen, doch wer wusste schon genau, was er damit bezweckte? Henry Kramer jedenfalls interessierte sich wirklich für sie. Da war sich Ruth sicher. »Meine Farm, sie steht vor dem Ruin«, begann sie zögernd zu erzählen. »Meiner Mutter ist das recht; sie träumt schon lange von einem Leben in der Stadt. Aber mein Leben, alles, was ich liebe, mein Zuhause, meine Heimat, mein Vieh sind bedroht. Ich muss bis zum Jahresende fünfzehntausend englische Pfund aufbringen, sonst wird Salden’s Hill versteigert. Oder noch schlimmer: Ich muss heiraten.«
    »Und was hat das mit Lüderitz zu tun?«
    »Das weiß ich nicht. Nichts wahrscheinlich. Ich war in Windhoek auf der Bank, bin in eine Demonstration der Schwarzen geraten. Eine Frau starb in meinen Armen. Sie nannte als Letztes den Namen meiner Großmutter, Margaret Salden. Ich habe meine Großmutter nie kennengelernt. Sie war schon lange Jahre weggegangen, als ich geboren wurde.«
    »Und jetzt sind Sie auf der Suche nach ihr?«
    »Ja. Sie ist 1904 verschwunden, hat ihr Baby, meine Mutter, einfach zurückgelassen.«
    Henry Kramer nickte. »Sie muss in großer Not gewesen sein. Keine Mutter lässt ohne Weiteres ein Neugeborenes im Stich.«
    Ruth wiegte den Kopf. »Vielleicht.« Dann schwieg sie, nahm ihr Glas und trank, während Kramer sie weiter fragend ansah. Sie hätte ihm von dem Diamanten berichten können, vom ›Feuer der Wüste‹. Aber dann hätte er vielleicht gedacht, sie sei gierig nach dem Stein, gierig nach seinem

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