Das Feuer des Daemons
stellte Soren fest. »Wenn du gestattest, werde ich die Nachricht von diesem Ereignis diskret an die anderen weiterleiten, um ihre Meinung dazu in Erfahrung zu bringen.«
Khalil hob die flache Hand. »Nur zu«, sagte er. »Grace glaubt, die Vision sei für Cuelebre bestimmt gewesen, aber ich habe sie auch gehört.«
»In der Zwischenzeit«, sagte Soren, »scheint es die weiseste Entscheidung zu sein, wenn du weiterhin eine aktive Rolle im Leben des Orakels einnimmst. Ich hielte es für klug, wenn du dich mit ihr anfreundest und sie an deine Gegenwart gewöhnst. Verzeih, ich hätte meine Bedenken über eine mögliche Beziehung zu ihr nicht äußern sollen, bevor ich nicht alles gehört hatte, was du mir zu sagen hattest.«
Khalil blieb stumm. Er hatte nicht das Bedürfnis, Soren gegenüber irgendwelche Eingeständnisse hinsichtlich seines neu entdeckten Verlangens und Ringens zu machen. Dadurch könnte sich Soren verpflichtet fühlen, seine Bedenken den anderen Ältesten des Hauses gegenüber zu äußern, und das wollte Khalil nicht riskieren.
Dschinn konnten eingesperrt werden. Lethe hatte Phaedra gefangen gehalten. Selbst der mächtigste aller Dschinn konnte gefangen genommen werden, wenn sich dazu genug seiner Artgenossen verbündeten. Gerade für das Volk der Lüfte, das sollte man stets bedenken, war Gefangenschaft etwas Entsetzliches.
Er hatte schon einmal von einer solchen Sache gehört, von einer Gruppe, die sich zusammentat, um einen Dschinn gefangen zu nehmen, der Gefahr lief, sterblich zu werden. Sie hielten ihn so lange fest, bis das Objekt seiner Faszination starb.
Was danach aus dem Dschinn geworden war, wusste Khalil nicht.
Ihm fiel auf, wie weit der Abend bereits fortgeschritten war. Es war schon fast neun Uhr, und Louisville lag in der gleichen Zeitzone wie Key Largo. Er runzelte die Stirn. Eigentlich hatte er erwartet, dass Grace ihn inzwischen zu ihrem Date gerufen hätte.
Er stand abrupt auf. »Ich muss los.«
Soren nickte ihm zu und griff wieder nach seinem Buch. »Es war schön, dich wiederzusehen. Der Friede sei mit dir, Khalil.«
»Und mit dir, Vater.«
Khalil ließ seine körperliche Gestalt von sich abfallen und schoss wie ein Pfeil nach Louisville zu Grace’ Haus. Als er näher kam, fiel ihm auf, dass der Wagen zwar in der Auffahrt stand, im Haus jedoch kein Licht brannte. Vielleicht war sie zu müde gewesen und eingeschlafen.
Leise betrat er das Haus und ging von Zimmer zu Zimmer. Alles war leer, sauber und ruhig. Nicht einmal die Ventilatoren liefen. Stirnrunzelnd betrachtete er die leeren kleinen Betten im Kinderzimmer. Es gefiel ihm nicht, wie sich das Haus ohne sie alle anfühlte. Als er zu dem schmalen Futonbett kam, in dem Grace sonst schlief, hatte er die Stirn in tiefe Furchen gelegt.
In einem Wirbelsturm brauste er aus dem Haus und tobte über das Land.
Sie war nicht auf der Wiese. Auch nicht am Fluss. Er konnte sie nirgends finden, und es wurde schnell dunkel. Das diffuse Gefühl der Bedrohung steigerte sich zur Raserei. In spätestens fünfzehn oder zwanzig Minuten würde es völlig finster sein. Ihre Sehfähigkeit war begrenzt, und ihr Knie war geschwächt.
Sie war so zerbrechlich. Sie war nur ein Mensch.
Dann sah er die Tür in der Seitenwand des Hügels. Sie stand offen. Das musste der Tunnel zu dem Ort sein, an dem das Orakel sprach.
Er tauchte hinab. Ohne sich damit aufzuhalten, einen Körper anzunehmen, brauste er durch den Tunnel in die Höhle.
13
Die Dschinniya lächelte Grace an. Im scharf umrissenen Strahl der Taschenlampe wirkten ihre Züge unheimlich, weil sich lange Schatten in die Vertiefungen an den Wangen und Schläfen sowie unter den schwarzen Sternenaugen legten. »Sehr gut, Menschenfrau«, sagte Phaedra. »Woher wusstest du das?«
»Der Körper, den du gewählt hast, hat etwas von Khalil an sich«, sagte Grace ruhig.
Phaedra kam näher und umkreiste Grace wie eine Katze auf der Pirsch. »Mein Körper hat etwas von beiden Elternteilen«, sagte Phaedra. »Ich will nichts von dem vergessen, was sie für mich getan haben – und was sie mir angetan haben.«
Grace verhielt sich sehr ruhig und versuchte, ihr Unbehagen und ihre Traurigkeit nicht zu zeigen. Auch wenn sie sich von ganzem Herzen etwas anderes wünschte, meistens waren dunkle, wütende Geister tatsächlich deshalb so dunkel und wütend, weil sie nachtragend waren.
Sie sagte: »Khalil hat mir erzählt, dass deine Mutter dich entführt und gefoltert hat, und dass er gegen sie in den
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