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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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des menschlichen Kokon das Unerkennbare sei, so behaupte man mithin, daß das Unerkennbare im Kokon der Erde liege. In diesem Kokon der Erde liege jedoch auch das Unbekannte, während das Unbekannte im Innern des menschlichen Kokon aus den vom Bewußtsein unerreichten Emanationen bestünde. Würden nun diese Emanantionen von der Glut der Bewußtheit berührt, so würden sie aktiviert und könnten sich an entsprechenden allgemeinen Emanationen ausrichten. Dabei aber werde das Unbekannte wahrgenommen, und mithin zum Bekannten.
    »Ich bin zu dumm, Don Juan. Du mußt mir die Sache in kleinere Happen zerlegen«, sagte ich. »Genaro wird's dir zerlegen«, erwiderte Don Juan. Genaro stand auf und begann wieder mit jener Gangart der Kraft auszuschreiten, die er mir schon einmal gezeigt hatte, als er einen riesigen flachen Stein auf einem Maisfeld hinter seinem Haus umkreiste, während Don Juan ihn fasziniert beobachtet hatte. Dieses Mal flüsterte mir Don Juan ins Ohr, ich solle versuchen, Genaros Bewegungen zu hören, vor allem die Bewegung seiner Schenkel, die mit jedem Schritt bis zu seiner Brust hochschnellten. Ich folgte Genaros Bewegungen mit den Augen. Binnen weniger Sekunden hatte ich das Gefühl, als sei ein Teil von mir durch Genaros Beine eingefangen. Die Bewegung seiner Schenkel ließ mich nicht los. Mir war, als schreite ich mit ihm. Ich geriet sogar außer Atem. Dann merkte ich, daß ich tatsächlich Genaro folgte. Ich ging tatsächlich hinter ihm her, fort von dem Platz, wo wir gesessen hatten.
    Don Juan sah ich nicht mehr, nur noch Genaro, der auf diese seltsame Weise vor mir schritt. So gingen wir stundenlang umher. Es war eine solche Anstrengung für mich, daß ich furchtbare Kopfschmerzen bekam und mich plötzlich übergeben mußte. Genaro blieb stehen und kam zu mir. Ein intensives Leuchten umgab uns, und das Licht strahlte in Genaros Gesicht wider. Seine Augen glühten.
    »Schau nicht Genaro an!« befahl eine Stimme an meinem Ohr. »Schau dich um!«
    Ich gehorchte. Ich glaubte, ich sei in der Hölle! Der Schock, den ich beim Anblick der Umgebung empfand, war so gewaltig, daß ich einen Entsetzensschrei ausstieß. Aber meine Stimme blieb lautlos. In lebhaftesten Bildern sah ich überall jene Schilderungen der Hölle, die ich aus meiner katholischen Kindheit kannte. Ich sah eine rötlich flimmernde Welt, heiß und bedrückend, dunkel und höhlenartig, ohne Himmel, ohne Licht, bis auf die gefährlich scheinenden Reflexe rötlicher Lichter, die uns mit großer Geschwindigkeit umkreisten.
    Genaro fing wieder an zu schreiten, und irgend etwas zog mich mit. Die Kraft, die mich Genaro zu folgen zwang, hinderte mich auch daran, mich umzusehen. Mein Bewußtsein haftete an Genaros Bewegungen.
    Ich sah Genaro niederstürzen, als sei er völlig erschöpft. Im selben Augenblick, als er den Boden berührte und sich ausstreckte, wurde irgend etwas in mir frei, und ich konnte mich wieder umschauen. Don Juan beobachtete mich mit fragendem Blick. Ich stand aufrecht und ihm gegenüber. Wir befanden uns an derselben Stelle, wo wir uns hingesetzt hatten, einem breiten Felsband unter dem Gipfel eines kleinen Berges. Genaro keuchte pfeifend, und ich ebenfalls. Ich war schweißgebadet. Mein Haar war klatschnaß. Meine Kleider waren durchweicht, als wäre ich in einen Fluß gefallen.
    »Mein Gott, was ist los!« rief ich in höchster Besorgnis. Der Ausruf klang so albern, daß Don Juan und Genaro zu lachen anfingen.
    »Wir wollen dir helfen, die Ausrichtung zu verstehen«, sagte Genaro.
    Don Juan half mir behutsam, mich hinzusetzen. Er setzte sich neben mich.
    »Erinnerst du dich, was eben passiert ist?« fragte er mich. Ich sagte ihm, daß ich mich erinnere, und er bat mich, ihm genau zu erzählen, was ich gesehen hätte. Seine Aufforderung schien mir im Widerspruch zu stehen mit dem, was er gesagt hatte, nämlich daß nicht der Inhalt meiner Visionen, sondern die Bewegung meines Montagepunktes das einzig Wichtige an meinen Erlebnissen sei.
    Und dann erklärte er mir, daß Genaro schon oft versucht habe, mir zu helfen, wie eben, daß ich mich aber niemals an etwas habe erinnern können. Auch dieses Mal habe Genaro, wie schon oft, meinen Montagepunkt angeleitet, aus einem anderen der großen Emanationen-Bänder eine Welt zusammenzusetze.
    Es entstand ein längeres Schweigen. Ich war betäubt und schockiert, aber mein Bewußtsein war so klar wie nur je. Endlich glaubte ich zu verstehen, was Ausrichtung sei. Irgend etwas in mir,

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