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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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nicht wählerisch,
aber keinesfalls wahllos. Man darf nicht vergessen, daß das Familiengefüge auf
Haiti maternalistisch ist, daß es keine Form des südromanischen Machismo gibt
und daß die haitianische Sittenordnung sich — unabhängig davon, daß man der
christlichen Religion angehörte — nicht nach dem paternalistischen katholischen
Südenbegriff in Dingen der Sexualität ausrichtet, sondern noch immer nach dem
Naturrecht archaischer Muttergesellschaften.
    Der »Kleine Tod« wurde also
fröhlich gestorben und das »Avant« und »Aprés« lachend betrieben, ohne Kampf
und ohne Brunst, mit der Schamlosigkeit der Unschuld, alle Vorgänge des Lebens
waren wie Essen und Trinken und Lieben. Stoffwechselprozesse freudige
Ereignisse ohne »Pfui« und »Fi donc«, selbstverständlich wie Flut und Ebbe,
Hitze und Regen, Morgen und Abend. Die Prostitution geschah ohne Raffgier, eben
aus Armut, die orale Einverleibung wurde zum graziösen Spiel.
    Diesem herrlichen Paradies ist
zwar der Hunger, aber nicht die Schlange bekannt.
    Marie Galante bevorzugte in ihren
sexuellen Neigungen die gewisse, wohl aus französischen Kolonialüberlieferungen
herrührende Variante, die man kreolisch »manger le blanc« nennt, und
betrachtete es immer noch als lustvolle Ehre, von Weißen zu galanten Diensten
erwählt zu werden. In ihrem drolligen Englisch meinte sie: »Sure, black is
beautiful — but white better.« Auf ihre Neigung angesprochen, meinte sie
verschmitzt, sie käme vielleicht als Ahnenerbe aus einer Zeit, wo Christobal
Colombo ihre Vorfahren für Menschenfresser — Kariben gleich Kannibalen — hielt,
oder auch nur von der Jugendzeit, wo das Vergnügen, an einer Lakritzenstange zu
lutschen, das höchste Glück auf Erden war, oder schließlich, weil die armen
Sklaven viele Jahrzehnte lang unter der Peitsche ächzend ihren Hunger an einem
Zuckerrohr kauend gestillt hatten.
    Als Tochter eines musisch begabten
Volkes beschäftigte sie sich künstlerisch, aber nicht wie viele ihrer
Landsleute mit naiver Malerei, sondern als Tänzerin. Ihr Künstlername war
Timar, was kreolisch Petite Marie bedeutet.
    Sie tanzte schon in frühesten
Kinderjahren beim dörflichen Voodoo mit, und später demonstrierte sie das, was
man den amerikanischen Karibiktouristen als Voodoo verkaufte: die gefällige
kommerzielle Säkularisation dieses afrikanischen Geheimkultes. Ihre berufliche
Karriere begann am Cap auf einer verrotteten, halb gestrandeten Barke im Hafen,
die zu einem billigen Vergnügungsetablissment für einfache Fahrensleute
umgebaut war und halb Seemannskneipe, halb Hafenpuff darstellte. Später war sie
Mitglied einer Folkloretruppe, die den Babbits aus dem amerikanischen
Mittelwesten verkitschte Volkskunst darbot. Immerhin offerierte sie in echter
oder vortrefflich gespielter Voodoo-Trance mit wilden Zuckungen, die Beine am
Boden ekstatisch gespreizt, den Körper halbnackt hektisch emporgeworfen, den
zahlreichen Amateurfotografen der Musikdampfer viele erfreuliche Bildmotive.
    Später lernte sie — außergewöhnlich
schnell — alle karibischen Folklore-Tänze, den Limbo, Mambo, Calypso, wurde von
einem kleinen Manager entdeckt, kam nach Port au Prince, tanzte dort sogar im
Habitat LeClerc, dem teuersten und elegantesten Hotel der Welt im ärmsten Land
der westlichen Hemisphäre. Dann ging sie nach Havanna, in das Cuba Battistas,
hatte im dortigen berühmten Tropicana Erfolg und wurde so etwas wie ein Star in
dem damaligen Weekend-Sündenbabel des amerikanischen Wohlstandsbürgers. Aus der
Karibik, aus Nassau auf den Bahamas, holte man sie nach Birmingham und
Liverpool in die alten angelsächsischen Music-Halls, dann war sie plötzlich in
London im EMPIRE und schließlich in Paris, wo sie erst im LIDO, später in CRAZY
HORSE auftrat. Das waren die Stufen ihrer Show-Karriere, die sie unberechnend
auch mit den Wohltaten ihres Leibes bezahlte, ohne dabei an
selbstverständlichem Stolz als freie Bürgerin der ersten Negerdemokratie der
Welt einzubüßen.
    Marie Galante stellte in seltener
Komplexheit dar, was im internationalen Showgeschäft längst aufgespalten war:
die Einheit eines sich vor einem Publikum künstlerisch produzierenden
weiblichen Geschlechtswesens. Feminismus hin, Feminismus her — sie war
innerlich und äußerlich Schau- und Sexualobjekt und war stolz darauf. Sie war —
beileibe nicht aus materiellen Gründen, sondern aus Berufung — eine
hochqualifizierte »ehrbare« Dirne. Hier war noch vorhanden, was Wert

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