Das Filmbett
Tochter
auf dem Kopf balanciert wird — sind es Sisters und sie tragen das gleiche
Kostüm, das gleiche Trikot, die gleiche Haartracht. Wenn zwei Exzentriker
Parterreakrobatik betreiben, sind es Brothers — auch wenn der eine aus Glogau,
der andere aus Reichenbach stammt — sie tragen den gleichen Anzug, die gleiche
Krawatte. Ob eine Springertruppe aus der Berberei, Ungarn oder Rumänien kommt,
auf alle Fälle sind sie eine »Family«. Die Tatsache, daß die Artistenzunft
schon im Mittelalter aus Familienunternehmen bestand, spielt dabei weniger eine
Rolle als der Drang des Varietés, seine Wirkungen effektvoll zu verdoppeln, zu
verdreifachen, zu multiplizieren. Der Vervielfältigungsdrang endet in der
rampenlangen Mädchenschlange der Tillergirls und der Rocketts aus dem New
Yorker Radiocenter, lauter »Schwestern« gleicher Größe, gleicher Schritthöhe,
gleichen Waden-, Brust-, Schenkel- und Taillenumfanges. Und natürlich in
uniformen Kostümen, Perücken und Hütchen. Und mit dem Drill gleichmäßiger
Evolutionen.
Um so potenzierter ist die Wirkung
von echten Zwillingsschwestern. Von oft tragischen Aspekten der Doppelgeburt
wollen wir nicht sprechen und nicht von der fast kriminellen Erziehung der
Eltern, die, statt dafür zu sorgen, daß sie rechtzeitig voneinander abgenabelt
werden und statt sie seelisch und pädagogisch zu trennen, äußere
Wesensähnlichkeit und Körpergleichheit durch Kleidung extra betonen, um so die
Ähnlichkeit zu fördern. Denn was auch immer von Identität und gleichem
Schicksalsverlauf pseudo-wissenschaftlich gefaselt wird: Zwillinge sind zwei
verschiedene, von einander unabhängige Individuen, und alle Kongruenzen, die
Neigungen, die Anfälligkeit für dieselben Krankheiten etc. sind mehr oder
weniger zufällig und werden entweder von außen manipuliert oder
hineingeheimnißt. Daß Zwillingsschwestern Zwillingsbrüder heiraten ist nur ein
journalistischer Public-Relation-Gag, auch wenn es vorgekommen sein soll. Und
hier darf man Allan Woods satirische Schnurre anführen, der spöttisch von zwei
Zwillingsbrüdern erzählt, von denen der eine in Amerika ein Bad nahm, worauf
der andere plötzlich am andern Ende der Welt sauber wurde.
Zwillinge differieren psychisch
und in ihren Neigungen und Verhaltensweisen oft sogar außerordentlich.
Das biologische Phänomen der
Zwillinge hat eine ganze dramatische, vorwiegend heitere Literatur
hervorgebracht. Denn womit ließen sich lustspielhafte Effekte der
Personenverwechslung und des Rollentausches besser konstruieren als mit der
Körperähnlichkeit von Zwillingen. Es genügt, auf Shakespeare, Plautus und
Ludwig Fulda hinzuweisen. Zwillinge sind und bleiben Topoi der dramaturgischen
Verwechslungstechnik und an diesen bereits verkrusteten Klischees wird sich
wohl auch in Zukunft nichts ändern.
Die dritte Problematik von
Zwillingsschwestern im Schaugeschäft liegt eindeutig im Sexuellen. Sich
öffentlich produzierende Frauen sind naturgemäß spezielle Sexobjekte, und jede
Künstlerin wäre unglücklich, ja fehl am Platze, würde sie die Eigenschaften
ihrer erotischen Attraktivität nicht genießen und in das künstlerische Kalkül
als Wirkungsfaktor nicht einbeziehen.
Schon im bürgerlichen Alltag hat
für den Mann einer hübschen Frau die hübsche Schwägerin eine besondere sexuelle
Anziehungskraft, und oft ist die Schwester der Frau ihre ärgste
Geschlechtsrivalin. Bei Zwillingsschwestern tritt dieser Faktor natürlich
verstärkt auf. Bei verblüffender Körper- und Gesichtsähnlichkeit überträgt sich
die bewußte oder unbewußte Inbesitznahme der sich darbietenden Frau durch den
männlichen Zuschauer nicht auf eine bestimmte, sondern auf beide Personen. Die
erotische Neugier erfaßt gleichzeitig beide. Man möchte nicht eine, sondern
beide »haben«. Das ist der eigentliche Sexappeal des Sistereffektes, den die
internationale Showmanship kaltblütig auszunützen bestrebt ist. Alle sich
produzierenden Zwillinge leiden darunter, daß sie nicht als Einzelpersonen
begehrt werden, sondern eben als Paar. Ebenfalls künstlerisch tätige Zwillinge
erzählten mir spöttisch, aber auch angewidert, wie sich die Hollywoodprominenz
als Gäste des Pariser »Lido«, dessen Attraktion sie waren, nicht um die eine
oder andere, sondern um beide, sozusagen als erotisches Kollektiv, als
sexuelles Konsort bemühten, als spezifische Sensation des Gruppensexes.
Ähnliches erlebten Margret und
Ann. Sie waren ziemlich unprüde, unpuritanisch und
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