Das Filmbett
vorüber, viel zu schnell,
wie sie meinte, und zuletzt schien sie so erschöpft, als hätte sie selbst die
Darbietung bestritten. Sie war völlig erledigt, war so benommen, daß sie kaum
merkte, als er sie sachte am Arm nahm und durch die dunklen Straßen und Gassen
leitete. Sie stiegen in einem alten Stadthaus die Treppe hinauf. Er öffnete
eine Etagentür und ließ sie eintreten.
»War’s schön?« fragte eine
schlanke, große Rothaarige von apartem Aussehen und nannte ihren Namen, den
Blanche nicht verstand. »Sie müssen sich ›von‹ schreiben, daß er es
fertigbrachte, meine Eintrittskarte Ihnen zu überlassen«, fuhr die Rote fort.
»Gleich gibt es eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken... nichts Besonderes,
alles, was die Küche eben hergab. »Er«, sie deutete auf Prinz, »er ist ein
schlechter Gastgeber und überläßt alles mir.« Damit verschwand sie.
»Wo sind wir hier?« flüsterte sie.
»Na, bei mir natürlich, wo sonst«,
brummte er.
Also hatte er bereits eine
Freundin und war gar nicht »en chasse«, auf Mädchenjagd, wie sie angenommen
hatte. Blanche nahm dies recht zwiespältig auf, zumal sie zugeben mußte, daß
die Rothaarige recht attraktiv war.
Aber sie hatte keine Zeit, sich
langen Betrachtungen darüber hinzugeben, ob diese überraschende Entdeckung nun
gute oder schlechte Gefühle in ihr hervorrief — es kamen Gäste, immer mehr, und
die waren ganz anders als jene in der Villa am ersten Abend. Bei den Männern
dominierte die Harold-Lloyd-Brille, die die Literaten und Intellektuellen zur
Zeit bevorzugten, die Damen trugen vorwiegend sommerliche Herrenkostümjacken
über den kurzen Röcken und das Monokel im Auge. Blanche kannte den Typ — der
berühmte Karikaturist Simmel, der Schöpfer des »Herrn Raffke«, des
Inflationsgewinnlers, hatte diese modische Personifikation der emanzipierten
Garçonne, des weiblichen Snobs und vermännlichten Blaustrumpfs als »Fräulein
Grete« dem Gelächter preisgegeben. Und wenn sie sich nicht irrte, wöchentlich
in jener »Berliner Illustrirten« (ohne ie). Offenbar waren hier die geistige
Elite, die Intelligenzbestien der Zeit- und Wahlbürger Asconas versammelt.
Und rasch war auch die lebhafteste
Diskussion im Gange.
Blanche fühlte sich plötzlich sehr
allein.
Zwar, man bot ihr Erfrischungen
an, versorgte sie mit kleinen Appetitshäppchen, aber man nahm sie darüber
hinaus kaum zur Kenntnis. Doch langweilte sie sich beileibe nicht, denn was
hier verhandelt wurde, ging auch sie etwas an. Nur — sie mußte sich sehr
zusammenreißen, um alles zu verstehen. Sie war Fachsimpelei gewöhnt — gerade
Tänzer sind mit ihr nicht sparsam. Aber was man hier von sich gab über etwas,
das ihr die Brust sprengte, war so differenziert, des Lobes voll und der Kritik
nicht entbehrend, mit feinem Wenn und Aber in einen kunstvollen Bau von
Fremdwörtern und Formulierungen eingebracht — das war ihr neu und erschreckte
sie tief. Verschüchtert drückte sie sich in einen Polsterstuhl in einer Ecke
und zog die Beine unter sich.
»Natürlich ist der
anthroposophische Gehalt...«
»Die Emanation der
Geist-Körper-Seele...«
»Man muß noch Chaos in sich haben,
um einen tanzenden Stern zu gebären...« (Das war von Nietzsche.) »Tanzen ist
ein Gebet mit den Beinen...« (Das war wiederum von Heine, das wußte sie genau.)
»Zu wem betet man ohne Gott...?«
»Die Metaphysik der ungezwungenen
Disinvoltura...«
»Zugegeben, aber vergessen Sie
nicht die Transzendenz des dithyrambischen Rausches...«
»...und das
Archaisch-Autochthone?«
»...die embryonale Urbewegung.«
»...Sie meinen Rückerinnerung in
vaginale Vorzeit...«
»...Selbstvergessen...«
»...nein, Entäußerung...«
»...wo denken Sie hin — Einkehr zu
sich...«
Die Worte schwirrten um ihren
armen Kopf wie Kolibris um einen tropischen Strauch.
Als eine arrogante Frauenstimme
vernehmen ließ, der moderne Tanz sei die endgültige Befreiung der Frau aus den
Sklavenketten einer feudalen Männerherrschaft, es sei die Carmagnole, das ça
ira des befreiten Weibtumes, mit der man das Patriarchat endlich ablöse, und
sich an den Gastgeber wandte: »Finden Sie nicht auch, mein lieber Herr Prinz?«
hörte sie in der eintretenden Stille die mokante Entgegnung: »Meine Gnädigste,
ich kann dazu nur dem beipflichten, was der erste Preisträger auf die
Scherzfrage meines Blattes › Was sagen Sie zu Fräulein Grete?‹ meinte — es war
natürlich ein Berliner, und die preisgekrönte Antwort durfte leider
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