Das Filmbett
Selbst die Grauen des 2. Weltkrieges waren bereits zu Klischees erstarrt. Ich trat auf den Balkon des Apartments. Es gehörte zum Hotel George V. Es war Abend geworden. Über den Dächern von Paris lag der rote Widerschein seiner Lichtreklamen, wie man ihn auch von Flächenbränden nach Bombenangriffen kennt. Wenn ich mich vorbeugte und die Schlucht des Boulevard entlang blickte, konnte ich links eine Ecke des Arc de Triomphe sehen, festlich angestrahlt. Ganz in der Nähe mußte das kleine Hotel liegen, das 1942 für das sogenannte Wehrmachtsgefolge requiriert war, zu dem damals die Künstler gehörten. Und im spitzen Winkel halb rechts, hinter den schründigen Graten und Kämmen der Häuserfront lag, jenseits der Champs Elyssees, in der Rue Faubourg St. Honore das Hotel Castiglione, wo 1937 die Geschichte begann, die ein Film war, der nie gedreht werden würde, weil er so gespickt war mit geschickten Schickungen, mit Zufälligkeiten und Fügungen, wie sie keinem Autor abgenommen worden wären. »Die Geheimnisse von Paris« hieß der alte Schinken von Eugen Sue, in dem die Unwahrscheinlichkeiten Kobolz schossen und der seinerzeit trotzdem als erster realistischer Roman galt. Jedenfalls - eines war sicher - Paris war wie keine andere Stadt, ein Schwamm, der gierig menschliche Schicksale aufsog, und hätte man diesen Schwamm ausdrücken können, wäre nicht nur eine »Menschliche Komödie« herausgeflossen, sondern die Essenz all dessen, was auf der Erde Menschenleben heißt.
Im obersten Stockwerk des Castiglione hatte an einem heißen Pariser Sommertag 1937 eine junge deutsche Schauspielerin eine absurde, verrückte, abwegige Idee, die ihr in der Folge -fünf Jahre später - das Leben retten sollte. Sie gehörte zu dem Team, das vor Beginn eines großen Filmes stand, einer Gemeinschaftsproduktion der deutschen Tobis und der französischen Tobis sonore. Die junge Schauspielerin war kein Star, sondern eine jener kleinen Nachwuchsdarstellerinnen, die man zwei Jahrzehnte später ein Starlet genannt hätte. Sie galt als leicht verrückt, tanzte munter auf der Schneide ihrer Widersprüchlichkeiten, die sie in hohem Maße besaß. Daß sie einen starken Anspruch auf eine amüsante Lächerlichkeit hatte, wußte sie, und es machte ihr nichts aus. Mittelgroß und trotz enormer Oberweite zierlich gewachsen, schien sie überall rund und prall zu sein: rundes Gesicht, runde Augen, runde Knopfnase, runde Hinterbacken, runde Knie - ein typisches Mariellchen aus Ostpreußen irgendwo bei Insterburg. Sie hatte den lockigen Puppenkopf eines barocken Engels und das freche Gesicht einer Clownesse von Toulouse-Lautrec. Prädestiniert für die Rollen von Dienstmädchen und Bauerntrampeln (mit denen sie schon einigen Erfolg erzielt hatte), legte sie doch größten Wert darauf, das dralle Landmädchen in sich zu überwinden durch mondäne Attitüde, durch kapriziöses und maniriertes Verhalten. Sie gab sich so, wie sich ein Mädchen zwischen Alienstein und Königsberg, das zuviel Pitigrilli, Gyp und Paul de Kock gelesen hat, eine Französin vorstellt, mit viel Chichi, leicht verderbt, mit keckem »Olàla« und »n'est pas?«, mit gewagter Koketterie und lüsterner Frivolität: Das Mariellchen als Marianne.
Ich war von den Studios in Epinay s.S. auf dem Wege zu ihr, um ihr persönlich mitzuteilen, daß in letzter Minute gelungen war, was wir seit Wochen betrieben hatten, der große französische Metteur-en-Scene und ich, der junge Dialogregisseur der deutschen Fassung, nämlich, ein Protektionskind von Frau Magda Goebbels, ein hübsches aber stumpfes B. D. M.-Mädchen, das für eine Hauptrolle vorgesehen war, abzusägen und nach Berlin zurückzuschicken. Es war nicht schade um diese Dilettantin ohne jede schauspielerische Ausbildung. Die wichtige Rolle sollte nun, nach meinem Vorschlag, unser Mariellchen spielen, da keine Zeit mehr war,
eine andere zu suchen, ihr bisheriger Part hingegen leicht umbesetzt werden konnte.
Es ist Mittag. Ich trommle gegen die Tür. Gepolter und schrille Vogelschreie. Sie öffnet. Ich trete ein und schließe die Tür hinter mir. Sie hat Lockenwickler im Haar, dicke Schichten Fett im Gesicht, Sonnenöl am ganzen Körper, sie ist nackt. Mühsam hält sie ein schmales Hotelhandtuch vor ihren Busen und ihr buschiges Delta.
»Ich habe gerade ein Sonnenbad genommen. Auf dem Dach hinter dem Schornstein gibt es keine Einsicht.«
Da man sie, vollgeschmiert wie sie ist, nirgends anfassen kann, streckt sie den einzigen
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