Das Filmbett
›Folies Bergere‹ (das ›Lido‹ war noch ein mondänes Schwimmbad) zur ersten Garnitur der berühmt-berüchtigten Stätten des Pariser Nachtlebens. Ein Pariser Cabaret, d. h. eine Mischung von Variete, Nachtclub und Music Hall, also mehr Revuebühne als Kleinkunstbrettl. Große tänzerische Schauszenen wechselten mit drastischen Sketchen, artistische Darbietungen mit solistischen gesanglichen Nummern ab. Üppige Ausstattung der nichtssagenden Leere, süßliche Gefälligkeit bei hohem Geschmacksniveau, höchste Perfektion der völligen Belanglosigkeiten. Viel Flitter, Korsagen, Reiherfedern, Netzstrümpfe - unbewältigte »Belle epoque«, unbewältigte zwanziger Jahre - und nackte Busen, nackter Körper mit jenem accent d'aigu eines kleinen, glitzernden Feigenblattes.
Die Nacktheit war statuarisch oder schritt feierlich einher. Die Körperfreiheit erstickte unter der Last symbolträchtiger kostümlicher Entourage, allegorischer Bedeutsamkeit.
Das Programm - es galt als das Beste der Saison -, war gut. Ich bewunderte stets den brillanten Ablauf solcher Bild- und Szenenfolgen. Verblüffend bei aller Schematik und Überkommenheit - die letzten Reste der barocken Maschinenoper.
Nur ein Bild fiel aus dem obligaten Rahmen und machte mir besonderen Eindruck. Über dem Publikum ein großes Rad mit Karusselpferden, und auf ihnen reitend, liegend, von Pferderücken herabhängend in exponierten Stellungen die »Schönen« des Tabarins, die »Modelle«, die »Beauties«, die »Nudists«, die berühmten nackten Mädchen des Etablissements, ohne das Tarnkleid mythologischer Verbrämung drehten sie sich im Kreise.
Unser Filmteam saß in den zwei ersten Reihen. Charlott -so hieß oder nannte sich unser Marielichen mit ihrem Bobby vor mir. Bei jedem Auftritt der Beauties drehte sie sich nach mir um und machte lebhafte fragende Gesten. Ich winkte ärgerlich ab. In der Pause stürzte sie auf mich los. »Welche, welche hast du dir ausgesucht, welche willst du haben?« Mehr um sie abzuschütteln, sagte ich: »Die langbeinige, Schwarzhaarige.«
»Die Schwarze, welche Schwarze«, schon blätterte sie in dem pompösen Programmheft, wo die Fotos aller Beauties in Medaillenform eine ganze Seite für sich hatten. »Diese hier?« fragte sie und deutete auf ein Bild. Ich nickte, ohne weiter hinzusehen. Sie hängt sich in Bobby ein und zieht ihn mit sich fort. Kurz vor Beginn des zweiten Teiles kam sie vergnügt mit ihm zurück, fing mit den anderen Mitgliedern ein Palaver an und veranlaßte einige, ihre Plätze zu wechseln. Ich mußte zwischen den beiden sitzen.
»Sie ist grundsätzlich bereit - Bobby war großartig. Er verhandelte wie ein gelernter Mädchenhändler. Sie will dich natürlich erst gesehen haben. Wir haben gesagt, du säßest zwischen uns. Darum der Platzwechsel.«
Nach der Pause zum dritten Teil kam sie wieder aus den Garderoben zurück. »In Ordnung«, sagte sie, »am kommenden Sonntag, zur l'heure bleu, um fünf Uhr im Hotel. Das Finanzielle ist bereits geregelt.«
»Du bist verrückt«, sagte ich abermals.
In den folgenden Tagen vergaß ich die ganze Sache. Ich hatte auch viel zu tun und meine eigenen Sorgen.
Da sich am Sonntag morgen ein zwar schöner aber heißer Sommertag ankündigte, fuhr ich schon nach dem Frühstück mit einem Freund, dem Cutter der deutschen Version, aus der benzingeschwängerten Stadt. Wir aßen spät in St. Germain im Pavillon Louis XIV. zu Mittag. Wir blickten auf die Stadt, die im Nachmittagsglast zu unseren Füßen lag, als wir unseren Mokka tranken. Wie ein träges Band geschmolzenen Bleis zog sich die Seine durch die Metropole.
»Hast du dein Rendezvous vergessen?« fragt mein Freund, »es wird höchste Zeit«, er tippt auf seine Armbanduhr. Ich schlage mir mit der Hand an die Stirn. »Das habe ich doch tatsächlich völlig verdrängt. Diese kindische Ausgeburt verderbter Fantasie. Die Kleine ist eine ausgepichte Lügnerin und Aufschneiderin. Und ihr Freund ist nicht besser. Die beiden wollten sich sicher ihren Spaß mit mir machen. Auf dieses Qui pro Quo falle ich nicht herein. Alles Schwindel.«
»Da bin ich nicht so sicher«, sagte mein bedächtiger Freund und er hatte oft recht. »Ich traue den beiden diesen Decameroneschwank zu. Man hat übrigens bereits Wetten abgeschlossen, und wollte beim Rendezvous dabei sein. Aber der Herr Staatsschauspieler erklärte, das sei schlechter Stil.«
»Das Beste wäre, nicht hinzufahren, und dann zu sagen, man habe die Angelegenheit von
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