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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthologie
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Aufschläge bedarf, um Truppenteil und Waffengattung eines Soldaten auch ohne Uniform zu bestimmen und den Gardekürassier vom Leibhusaren selbst im Zivil unterscheiden kann, oder wie der »alte Herr« einer Studentenverbindung nicht den Bierzipfel oder das Signet benötigt, um einen Corpsbruder oder das Mitglied einer anderen Burschenschaft des Cösener Convents zu erkennen, so las unser junges Mädchen in dem vor ihren Augen aufgeschlagenen lebenden Almanach der modernen Tanzkunst wie in einem offenen Buch. Hier waren die asketischen Schülerinnen der Mary Wigman, gotische Ekstatikerinnen, Barlachfiguren, wie aus Holz geschnitzte strenge Antlitze mit hohlen Wangen, und was ihnen an Anmut fehlte, ersetzten sie durch die Magie ihrer Körperausstrahlung. Da hatten die Anhänger Rudolf von Labans die liebenswürdige Urbanität angenommen, die auch ihren Meister, den Sproß des habsburgischen Vielvölkerstaates auszeichnete. Da war das Gefolge Mensendieks, Leichtathletinnen und den spartanischen, schenkelzeigenden Turnerinnen ähnlicher als leichtfüßigen Tänzerinnen, da zeigte sich die Gemeinde von Hellerau gleich einer rhythmisch-beschwingten heiteren Kinderschar beim Spiel, während die Adeptinnen der Isadora Duncan in langen weißen Gewändern mit Blumenkränzen im Haar schönheits-suchend barfuß fürbaß schritten und nur durch den regen Gegenverkehr daran gehindert waren, die Reigenkette eines griechischen Tempelfrieses zu bilden. Dagegen benahmen sich die Anhänger Lohelands eher wie domestizierte Mänaden und Bacchantinnen.
    Bianca wurde in der Betrachtung abgelenkt durch einen Mann, der an einem wenig entfernten Tisch Platz genommen und sie offensichtlich schon längere Zeit betrachtet haben mußte. Natürlich bemerkte sie, daß sein milde spöttisches Lächeln sie betraf, daß sein Anzug gut geschnitten war, was in dieser Bohemewelt eine Ausnahme darstellte, daß er recht ansprechend aussah - was ihm aber kein Recht geben würde, sie anzusprechen -, daß er jung war, etwas von einem Korsaren, Freibeuter oder Piraten an sich hatte, dies alles - und einiges andere bemerkte sie aus gelegentlich schrägen Augenwinkeln, aber sie nahm es natürlich nicht zur Kenntnis - oder sie nahm es zur Kenntnis, bemerkte es natürlich aber nicht -, denn wer kennt sich schon in der blitzschnellen Beobachtungsgabe eines jungen Mädchens aus. Jedenfalls quittierte sie ihre Feststellungen über seine Person auf alle Fälle mit einem knappen Ausdruck abschätziger Verachtung, zu welchem Behufe sie die Augenbrauen hob - oder wie immer man das nennen wollte, was davon übrig geblieben war -, denn sie hatte sie natürlich sorgfältig ausgezupft.
    Seltsam, so begann sie zu sinnieren, seltsam dieser große Anteil der Schweiz an dem sogenannten Deutschen Ausdruckstanz, der die körperlich organisierte Bewegung nach der Säkularisierung und Profanation von Jahrhunderten wieder zu einer Religion machte. Dalcroze war Schweizer, die Palucca Schweizerin, die Trümpy, die Geschwister Heidi und Trudi Schoop. War das so, weil diese neue Tanzform eine Freiheitstat war oder weil die Schweiz so welt- und kunstaufgeschlossen war oder weil auch die Töchter der Kantone und Internate, die Saaltöchter der Gaststätten einer Befreiung aus den Reglements überkommenen Wohlverhaltens ebenso dringend bedurften, wie die Töchter preußischer Offiziers-, niedersächsischer Pastoren- oder bayerischer Brauereifamilien? Jedenfalls das, was später als German Dance weltweit und vor allem von Amerika aus den Ballettgedanken reich befruchten sollte, daran hatte die kleine Schweiz ihren großen Anteil - aber das konnte Bianca nicht voll ermessen, wie sie nicht wissen konnte, daß diese typisch germanische Tanzbewegung schon ein Jahrzehnt später in die Emigration gehen mußte wie fast alles, was gut am Deutschen war, und daß sie selbst..., aber das ist nicht mehr unsere Geschichte ...
    Ging da nicht der große Harald Kreutzberg vorbei - auch ein Gotiker, ein Riemenschneider seiner tänzerischen Gestaltungskunst -, oder war es nur ein Nachahmer, der sich ebenfalls den Schädel rasiert hatte, um ihm zu ähneln ..., aber da kam eine lustige Schar von hochstilisierten Backfischen mit Pagenfrisuren und Ponyfransen - typisch Ivonne Georgi, die sich gerade mit ihrer Truppe in Gera einen Namen zu machen begann - und rauschte, reizvoll sächselnd, vorbei.
    So entging es Bianca, daß der Freibeuter und Korsar ihr Hotel betreten hatte und kurz darauf wieder

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