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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthologie
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wie anders als die schlüpfrigen Illustrationen mit galanten Herren und Damen, anders als die primitiven Kritzeleien an gewissen Wänden.
    Aber auch anders als die Kupferstiche mit dem Kanon ihrer akademischen Muskelparaden, ihren klassischen flachen Posen. Vor ihr lag, im Streifenlicht der untergehenden Sonne, ein großes, wohlgestaltetes Weib (das ihr schon aufgefallen war) auf dem Rücken und hielt mit ihren Beinen die Hüften des ebenfalls nackten Willem umklammert, der in voller Aktion war. Die natürlichste Art der Aretinischen Positionen war das - das wußte sie -, aber was sich hier ereignete, war das Anziehendste und das Abstoßendste, das Ekelhafteste und das Faszinierendste, das Häßlichste und, in seiner Wildheit, schönste Schauspiel, das sie je gesehen hatte. Das »Tier mit den zwei Rücken«, von dem Shakespeares Jago so perfide spricht, war eine infame Denunziation. Sicher, hier wurde der Mensch zum Tier - aber auch das Tier zum göttlichen Menschen.
    Sie war angewidert und konnte doch die Augen nicht von dem Schauspiel wenden. Und dann diese Laute, der Schrei des Schmerzes und der Schrei der Lust, das Wimmern nach Erbarmen und der röchelnde Wunsch nach Mehr, das wortlose Stöhnen und das Stammeln, das sich zu Worten artikulierte, die Bitte und Forderung zugleich waren, wie schamlos direkt auch die Begriffe, die sie gemein bezeichneten, sein mochten. Hier wurde die ihr bekannte Klischeevorstellung vom Naturgott Pan, vom bocksfüßigen Faun, vom Waldschratt, vom geilen Silen und der sinnentollen Mänade, der wilden Bacchantin unabweisbar präsente Gestalt, nicht aus Marmor oder Bronze, sondern aus heißem, kochendem Blut und vibrierendem Menschenfleisch. Was hier geschah war ein mythischer Kampf, ein von höherer Macht choreographierter Tanz, ein Bewegungsspiel voll Urgeheimnis und Magie.
    Das war etwas anderes als die schmierigen Vorgänge, von denen ihre Kolleginnen sich flüsternd berichteten, die hinter Schlafzimmertüren belauschten Eltern, die kichernd reportierten Geschichten vom älteren Bruder und seiner tollen Freundin, von der Schwester mit ihrem heimlichen Verlobten oder von dem schwarzen Schaf ihrer Truppe mit den allzu rasch wechselnden Partnern. Blanche war - wie viele Tänzerinnen - gar nicht so besonders musikalisch. Sie hatte kein absolutes Gehör, und wenn sie sang oder pfiff, tat sie es auf eine lustige und reizvolle Weise völlig falsch. Aber sie hatte den sicheren, musikalischen Sinn für Tempo und Rhythmus, für das Crescendo und das Diminuendo, für Steigerungen und Verzögerungen, und was sie hier sah und hörte, war eine Komposition im buchstäblichen Sinne, hatte einen dramatischen Aufbau, lyrische Zwischenspiele, zu Höhepunkten langsam oder stürmisch hingeführte Passagen, lustvolle Fermaten. Dem Augenblick der Stille folgten neuerliche Accelerandi, den abschließenden Fanfarenstößen das verklingende Morendo des Ersterbens.
    Sie schämte sich, in diesen geheiligten Intimbereich eingebrochen zu sein und konnte sich doch nicht aus ihm lösen. Sie war erregt, zweifellos, sie litt Qual, aber auch Lust - und wurde sich plötzlich bewußt, daß sie das geworden war, was sie heute morgen noch bespöttelt hatte: ein Voyeur. Sie kam gar nicht dazu, sich an die Stelle der Frau zu wünschen. Sie genoß als Zuschauer, wie sie gestern die verehrte Palucca genossen hatte, mit vollem Herzen und mit allen Sinnen ...
    Aber war dieser Liebesakt - so mußte man ihn wohl nennen, der nun einem neuen Höhepunkt zustrebte - auch wirklich ein Akt der Liebe? Hatte er etwas mit Liebe zu tun? Das Wort Liebe war jedenfalls als einziges Wort nicht gefallen, nein, es war ein rein physischer Akt - aber immerhin: hier war animalische Natur zur Kunst geworden.
    Und damit hatte ihr junger Verstand zweifellos recht, denn als das schweißbedeckte Paar erschöpft zur Ruhe gekommen war, erfolgte der beeindruckte Applaus einiger, wie es ihr erschien sachverständiger Zuschauer. Sie hatte ein Ohr für Applaus: das waren Kenner, kritische Betrachter - Aficionados nennt man sie beim tödlichen Stierkampf - aber da wird der Stier gestochen, fuhr es ihr blitzschnell durch den Sinn, und tatsächlich, sie konnte es von ihrem Blickpunkt aus nur erkennen, wenn sie sich weit nach links vorbeugte, so daß ihre Füße fast den Halt verloren: Der Dreiviertelkreis des Baumbestandes wurde dort abgeschlossen durch eine runde Taxushecke, vor der auf bequemen Klappstühlen ein ausgewähltes Publikum saß.
    Sie hatte einer

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