Das Filmbett
Gefühl des Sinnenrausches gewesen, der mysterienhaften ekstatischen Selbstentäußerung und der panisch-befreienden Enthemmung ... Aber das war eben Theater.
Und - wieder ganz Kind - kam sie voreilig und naseweis zu dem Schluß, daß es also gar keine unzüchtige Wollust gab, das sogenannte Laster war eine Phantasmagorie, ein unbefriedigtes Wunschdenken der Erwachsenen.
Sie beteiligte sich an diesem oder jenem Spiel, ließ sich in der Sonne braten, sprang ins Wasser, wo eine lustige Balgerei entstand, erhitzte sich wieder bei einem Wettlauf und bemerkte, ohne das geringste Prickeln, die starren Karpfenaugen des Hausherrn, mit denen er sie von einem Liegestuhl aus unentwegt betrachtete (er mußte sie doch langsam schon auswendig kennen). Er trug jetzt Shorts, die ihm über die Knie reichten, und seine Beine hatten stachelige Haare. Sie ließ sich von ihm die Villa zeigen, und da es innen kühl war, schlug sie ein buntgebatiktes Badetuch über die Hüften und glich nun einer bronzebraunen Schönen von Gaugin. Er zeigte ihr seine Bibliothek und blätterte vor ihr seine kostbaren Erotika mit den entsprechenden Radierungen und Kupferstichen auf, die sie kühl und unbeteiligt betrachtete, ihr Blick flog über Textstellen, in denen von Liebesspeeren, Wollustspalten und Liebeshonig die schwülstige Rede war, oder über ein Vokabularium von obszönen Vulgärworten, von denen sie längst wußte, daß sie auch erregend wirkende Reizworte darstellen sollten, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Sie aß und trank - nach gemachter Erfahrung - mit Maß, sie ignorierte die übertriebene sorgsame Betulichkeit, mit der sich ältere Herren vor jungen Mädchen besonders lächerlich zu machen pflegen. Sie begann ihren Aufenthalt sogar zu genießen, wurde im Dolce far niente entspannt und müde, schlief einige Zeit - wie lange? -, es ging dem Abend zu, die harten, grellen Farben von Luft, Land und Wasser wurden weich und nuancenreich.
Sie spürte Gewissensbisse darüber, daß sie in den letzten Tagen reichlich geschlampt, nichts für ihre Körperkondition getan hatte und begann für sich zu trainieren. Sie wollte damit auch einer befürchteten Aufforderung begegnen, »etwas zum Besten zu geben« und ihre vorausgesetzte Künstlerschaft unter Beweis zu stellen. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich vor »ihm« und den Mädchen zu produzieren. Einige ihrer Kolleginnen beteiligten sich, doch fiel ihr auf, daß sie merklich Distanz hielten. Es lag ihr auch wenig an näheren Kontakten. Dann wurde sie der anstrengenden Tätigkeit überdrüssig und wanderte gedankenverloren durch den Park. Hier, am Rande des gesellschaftlichen Zentrums, bemerkte sie einzelne Gruppen hinter üppigen Rhododendron-Büschen -nun ja, hier wurden sicher die üblichen Klosterspielchen und Mädchenheim-Belustigungen betrieben, die sie so langweilten und - einiges später - dort, hinter einem hohen Gesträuch hockend, entledigte sich eine zierliche Pagin einer kleinen Notdurft - sie lachte in sich hinein -, »gegen die Wand pinkeln kann sie doch nicht«.
Flüchtig kam ihr Al in den Sinn, aber sie verdrängte rasch sein Bild: wie er gestern nacht vor den Snobs und den Siebengescheiten so beherzt seine Meinung vertreten hatte, obwohl sie durchaus nicht geneigt war, diese zu der ihren zu machen. Ganz gut, daß er nicht gekommen war, sie fürchtete jetzt, daß sie sich vielleicht doch vor ihm geniert hätte - nackt, wie sie war.
8
Sie wollte bereits umkehren, um sich in die Höhle des - sicherlich zahnlosen - Löwen zurückzubegeben, als sie durch menschliche - oder waren es tierische - Laute unbestimmbaren Charakters auf eine dichte Baumgruppe aufmerksam gemacht wurde, die sich mit viel Unterholz fast zu einem Kreis zusammenschloß. Halb aus Besorgnis, halb aus einer uneingestandenen Neugier näherte sie sich dem Ort und den Geräuschen. Sie glitt schlangengleich durch die naturgewachsenen Umgrenzungen, bog vorsichtig und geräuschlos Zweige und Geäst auseinander und sah einen kleinen runden Platz vor sich, der der Bühne eines Gartentheaters glich. Auf seiner Mitte war ein Paar in innigster Umschlingung begriffen, und Blanche sah - nein, erlebte - zum erstenmal den Vorgang, den die Menschen nur mit den schönsten oder schmutzigsten Worten bezeichnen oder mit den Ausdrücken medizinischer Fachbücher.
Aber wie anders war das, was sich ihr darbot, als die Bilder, die ihr heimlich unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit gezeigt oder zugesteckt worden waren,
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