Das Filmbett
Ballettprobe im Grünen Foyer - grün, weil die Säulen aus grünem Marmor, die Wände aus grünem Malachit waren - ein Geschenk des Zaren -, dieses Foyer mit den grünen Samtvorhängen vor den hohen Fenstern und den großen Spiegeln mit dem Handlauf, der auch als Ubungsstange dienen konnte. Da wußte - angeblich - jeder im Theater, und in den Tänzerinnengarderoben wußte man es genau - die Probe im Grünen Foyer bedeutete den Verzicht auf das Seidentrikot, das Spitzenhöschen unter dem kurzen Tutu und auf die Korsage darüber, und die Ballettmeisterin hatte den gefürchteten Rohrstock und schlug damit den Takt auf ihre Handfläche -oder auch auf die nackten Schenkel und Waden beim Exercise an der Stange und in der Reihe, und die Offiziere saßen, Papirossi rauchend, an den kleinen Marmortischchen und betrachteten das laszive Schauspiel der unter dem Ballettrock entblößten Unterkörper bei Spagat, Split und Pirouette und den Tanz der wippenden nackten Brüste bei Drehung und Sprung. Die damalige Ballettmeisterin lebte noch als alte, würdige Dame, hochgeachtet, bezog Rente und ging jeden Sonntag zur Kirche. Blanche war immer in Versuchung gewesen, sie anzusprechen und nach dem Wahrheitsgehalt dieser unfrommen Legenden zu fragen, hatte sich natürlich aber nie getraut. Waren diese schamlosen Darbietungen nicht allein schon in der Phantasievorstellung, die ihr damals gruselige Wonneschauer über den Rücken jagte, mit der sklavenhaften Leibeigenschaft und ihrer unzüchtigen Entblößung nicht tausendmal verderbter als die pure Nacktheit bei der Ausübung naturgewollter Funktionen? Hier hatten zwei miteinander geschlafen, wie es trivial, aber im Wortsinne unzutreffend genannt wurde, und sie ertappte sich dabei, daß sie -zum erstenmal - ein schmutziges Wort damit in Verbindung brachte und es nur mit Mühe unterdrücken konnte ...
»Warum tun Sie das eigentlich, Willem?« fragte sie leise und blickte starr auf die Windschutzscheibe.
»Weil es 'ne zünftige Männerarbeit ist, Frollein«, sagte er.
»Nein, Sie wissen schon, was ich meine«, sagte sie.
»Das meine ich auch. - Wenn's den andern gefällt - mir macht es nichts aus.«
»Und die Frau? Ist sie eine ...?«
»Nö, Frollein, die ist keine. Das ist die Gattin von 'nem wohlhabenden Dokter in Berlin.«
»Aber warum gibt sie sich dazu her?«
»Weil sie nur so ihren Spaß daran hat, ganz einfach. So was gibt's. Das erstemal mußte ich ihr einen Zehnfrankenschein vor die Füße werfen - dafür hat sie mir diese Uhr geschenkt -echt Platin.« Er zeigte sie. »ja, sowas gibt's. Und noch ganz andere Sachen ...«, meinte er und war bereit auszupacken.
Doch Blanche hatte keine Lust, mehr darüber zu erfahren. Die Lichter von Ascona kamen näher.
»Aber trotzdem möchte ich wissen, warum Sie es tun«, insistierte sie nach einer Pause.
»Ich zeige eben gerne, was ich kann. - Tun Sie das nicht auch?«
Darauf wußte sie keine Antwort.
Sie waren in dem kleinen Bootshafen von Ascona nahe der Piazza angekommen. Er half ihr an Land.
»Schönen Dank, Willem«, sagte sie und gab ihm die Hand.
»Nüscht zu danken«, entgegnete er. »Stets zu Diensten. Karte genügt, komme ins Haus. Nicht Gewünschtes bitte durchstreichen!« rief er ihr nach und kam sich wohl ungeheuer witzig vor.
Sie entfloh. Nein, dieser Riese war ein allzu dienstbereiter Zwerg. Sie wollte ins Haus schlüpfen, da erhob sich jemand auf der fast leeren Terrasse, der sichtlich auf sie gewartet hatte.
Es war die Rothaarige. Auch das noch, dachte sie.
»Al hat sich Sorgen um Sie gemacht«, sagte die junge Frau. »Er meinte, ich solle mich ein bißchen um Sie kümmern - er mußte plötzlich zu einem Verleger nach Zürich. Ganz früh.«
»Ich brauche keine Kinderfrau«, sagte sie, und es kam ruppiger heraus, als sie es wollte. »Sagen Sie Ihrem Freund .. .«
»Freund? Welchem Freund?«
»Nun, Ihrem Freund Al - oder gibt es noch mehr?« - Auch das war patziger gesagt als nötig.
Die Rote lachte schallend auf. »Ach, Sie meinen, Al wäre mein Freund? Das ist er allerdings, und zwar ein guter. Er ist mein Bruder.«
Nun war es abermals an Blanche, sich zu schämen. Sie wurde rot - und nicht nur aus Verlegenheit.
»Fein, daß Sie uns einen Inzest zutrauen - wär' nicht schlecht: Wälsungenblut, Winterstürme, Wonnemond und so weiter ... War aber nicht. Leider. Nun, man kann nicht alles haben im Leben. - Ich bin glücklich verheiratet, in der Nähe von Thun - am Thunersee, auch sehr schön, habe zwei süße
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