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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Es war etwas in seiner Stimme und in seinen Augen, das die Krämerin mehr als dassich wie ein knöchriger Finger in ihr Fleisch bohrende Gewehr dazu brachte, tatsächlich die Münze zu nehmen und sich in den Mund zu legen, der sich mit dem eisig-süßlichen Geschmack von durch viele Hände gegangenem Metall füllte.
    »Friss!!« kommandierte der Fremde ein drittes Mal, als die Frau es jedoch dabei bewenden ließ, und diesmal schrie er fast, spannte den Hahn der Waffe und drückte ihr deren Lauf so fest gegen den Leib, dass sie mit einem Aufjapsen fast das Geldstück wieder ausgespuckt hätte.
    Tränen standen ihr in den Augenwinkeln. Aber sie sah durch den feuchten Schleier das, was von dem Gesicht des Fremden Besitz ergriffen hatte, und sie verstand, dass sie nur eine einzige Möglichkeit hatte, die Situation vielleicht zu überleben. Sie schluckte.
    Vielmehr versuchte sie es: Die Münze passierte den Gaumen, aber sie wollte nicht durch die Speiseröhre passen, und die Frau hustete, würgte, spuckte, ohne sie wieder loszuwerden.
    Greider aber brüllte sie nur wieder und wieder an, sie solle fressen, fressen, fressen. Sie ging in die Knie, schlug sich auf die Brust, und irgendwie schaffte sie es schließlich, den harten Knoten an ihrem Kehlkopf vorbeizudrücken. Die Frau hustete abwechselnd und schnappte nach Luft, um die aufsteigende Übelkeit zu bekämpfen. Als sie sich halbwegs wieder gefasst hatte, schaute sie zu ihrem Peiniger auf, ob dieser nun zufrieden sei.
    Greider fasste bloß in den Beutel, holte das nächste Geldstück heraus und setzte es ihr an die Lippen. Sie presste den Mund zusammen, schüttelte den Kopf, wimmerte, aber der Fremde setzte ihr die Gewehrmündung an die Schläfe. Der Frau rannen die Tränen über das Gesicht, armselig kniete sie da mit ihrem dicken, alten Leib in ihrem Nachthemd, und sieschnappte wie ein Schoßhund nach dem Goldstück, würgte unter ihrem Heulen auch dies herunter.
    Wieder griff Greider in den Beutel.
    Da hielt es den Krämer, der dem entwürdigenden Schauspiel machtlos bebend zugesehen hatte, einfach nicht mehr. Da brüllte er auf, fast schon bereit, sich auf den Fremden zu stürzen, egal was das für Konsequenzen haben mochte.
    Greider blickte hoch, bereit, den Mann mit der Waffe in Schach zu halten.
    Hinter der Ladentheke, vor der der Krämer stand, befand sich inmitten der Regale ein großer Spiegel.
    Und Greider sah in diesem Spiegel die Erscheinung am Rande des Lampenscheins, die herrisch dastand vor der gedemütigten, wehrlosen Frau, das Gesicht eine Fratze des Hasses. Die Erscheinung, die das Menschenähnliche nur noch wie eine halb verrutschte Larve zu tragen schien. Und er erkannte diese Erscheinung nicht wieder.
    Bis er sich darin erkannte.
    Es wirkte wie das Fingerschnippen auf einen Hypnotisierten. Greider schleuderte angewidert den Beutel auf den Boden, dass die Goldstücke klirrend, sirrend heraussprangen und -rollten, quer durch den Laden, Ungeziefer gleich, das beim Anmachen des Lichts die nächste finstere Ritze sucht.
    Und er drehte sich um, riss die Tür auf, durch die der Schnee hereinstob wie ein schon lange fröstelnd auf der Schwelle wartender Gast, und er lief hinaus, das Krämerpaar so verblüfft zurücklassend, dass es fast eine halbe Minute dauerte, bis der Mann die Lampe abstellte, die Tür schloss und verriegelte, seiner Frau aufhalf, ihr den Morgenmantel und den Arm fest um die Schultern legte und sie, die von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, unter einem unablässigen Strom geflüsterter, tröstender Worte hinauf in die Schlafkammer führte.Greider ritt hinaus aus dem Dorf, das inzwischen gänzlich dunkel, still und schlafend war und dem der Schnee mit zärtlicher Strenge eine Decke überzog.
    Greiders Gesicht war hart, es ließ sich auch vom Treiben der Flocken zu keiner Regung verleiten, die es anflogen und sich zum Sterben auf seine Wangen setzten, sich in seinen Augenbrauen zu Eiskristallen verfingen. Das Gesicht verriet nicht, was sich dahinter abspielte. Ob dort Zweifel aufbegehrten, ob dort Selbsthass und Hass miteinander rangen, ob dort Gedanken an Vergangenes oder Kommendes geisterten. Es war ein in Entschlossenheit gefrorenes Gesicht, und es verriet nur: Was immer an Gedanken, an Kämpfen, an Zweifel dahinter sein mochte, es kam zu spät, wenn es nicht dem über allem thronenden Willen zur Rache dienen wollte. Es würde sich nutzlos abmühen, würde höchstens die innere Färbung dessen ändern, was geschehen musste. Was

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