Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
geschehen würde.
Der Weg zurück durchs Tal war lang, zumal Greider gemächlich ritt. Nicht um in dem Schneetreiben das Tier zu schonen. Sondern weil es keinen Grund zur Eile gab, weil alles mit der unabänderlichen Regelmäßigkeit eines Uhrtickens seinem Ende entgegenstrebte.
Es war tiefste Nacht geworden, es waren die toten Stunden, die nach dem Kalender schon einem neuen Tag zugerechnet wurden, die aber in Wahrheit keinem zugehören. In denen schon alles ins Dunkel abgefallen ist, was noch zu dem vorigen zählte, und noch nichts keimt, was am nächsten wartet. Die Stunden, in denen man den Glauben an ein Morgen verlieren kann.
Nur mit Mühe war überhaupt ein Weg zu erahnen, und es war eher die mittlerweile gewonnene Gewohnheit, die Greider und sein Tier leiteten. Nach langer Zeit tauchte schließlich ein seltsames Skelett neben ihnen auf, ein auf der einenSeite in die Knie gesunkenes, verlassenes Geschöpf, dessen Holzknochen schon halb unter Schneewehen beerdigt waren – und da wusste Greider, dass die Brennerschen den sabotierten Kutschwagen einfach hatten liegen lassen, und dass nun die Mühlbrücke erreicht war.
Danach dauerte es nicht mehr allzu lange, bis er in den Wald hineinkam, und hier drang das Flockenwimmeln nur noch ausgedünnt durch, hier war es, als wäre er in einen natürlichen Dom hineingeritten, in dem auch die Geräusche plötzlich wieder Atem bekamen.
Greider verließ den Weg, der zwischen die Bäume gehauen war und auf dem man seine Spuren wiedergefunden hätte. Er stieg ab und führte sein Tier in das Dickicht hinein und hindurch, bis der Wald sich schließlich eine Anhöhe hinaufschwang. Es war die letzte Steigung vor dem kleinen Kessel am Ende des Hochtals, in dem der Hof des Brenner lag.
Greider führte sein Maultier noch ein gutes Stück weiter weg vom Weg, hin zu den Seiten des Tals, wo er es unter Bäumen festmachte, die den Boden weitgehend vom Schnee geschützt hielten, und ihm eine Decke überlegte.
Dann ging er zurück in Richtung des Weges, hielt sich aber am Waldrand zu der Senke hin. Das Schwarz des Brennerschen Hofes war noch so viel dunkler als das der Nacht, dass Greider seine Umrisse selbst durch die Finsternis und durch das Flockenrauschen hindurch erkennen konnte. Es brannte dort kein Licht mehr.
Greider suchte sich, noch einige Meter weiter vom Weg entfernt, einen großen Baum am Abhang, der am Waldrand direkt im Wetter stand. Der Wind hatte das Weiß so mächtig auf- und um den Baum getrieben, dass dessen riesig ausladende Nadelzweige sich darunter herab-, aufeinanderbeugten und die untersten sich in die mannshohen Schneewehen am Fuß des Holzriesen tauchten. Die Vorderseite des Baumessah aus wie ein fast nahtloses, spitzes Zelt. Doch die Rückseite war nicht so tief eingeschneit, hier liefen die Schneewehen in der Mitte flach aus und ließen eine muldenartige Öffnung. Dort kroch Greider vorsichtig hinein – bedacht, den Zweig nicht zu berühren, der darüber ein Dach bildete. Und so fand er sich in einer natürlichen Höhle wieder, die von Schneewehen und Zweigen um den Baumstamm herum gebildet worden war. Ihr Boden war fast trocken, völlig bedeckt mit abgestorbenen, braunroten Nadeln. Und Greider blieb bequem Platz, sich sitzend an die rauhe Borke des Stamms zu lehnen. Er klaubte ein paar vertrocknete, herabgefallene Ästchen zusammen, baute daraus um ein Häufchen von Nadeln einen kleinen Scheiterhaufen und zog sein Feuerzeug aus dem Mantel – eine Metalldose mit Zunder und einem Feuerstein. Es brauchte nur wenig Geduld und anfeuernden Hauch, bis das Holz prasselnd brannte und Greider es mit weiteren Stöckchen füttern, er seine Hände an den Flammen wärmen konnte. Das Feuer und seine Körperwärme würden den engen, abgeschlossenen Raum bald auf eine erträgliche Temperatur bringen, und die Zweige und der Schnee würden dafür sorgen, dass von dem verräterischen Licht und Rauch fast nichts hinausdrang.
Greider kramte aus seinem Mantel etwas zum Essen hervor und eine Zigarette, griff in die Schneewehen, um sich einen Eisball zu pressen, der ihm gleichsam als Getränk dienen konnte, und machte sich bereit zu warten.
Wie viele Stunden vergangen waren, hätte er nicht genau sagen können, aber es musste noch immer gut vor Morgengrauen sein, als von draußen Geräusche in sein Lager drangen.
Es waren das Keuchen und Stapfen eines Pferdes, das vom Hof her die Anhöhe heraufkam.
Greider löschte behutsam, allen Qualm erstickend, sein Feuer unter zwei
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