Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
ihn und hieß ihn anhalten. Wie angewurzelt blieb der Mann stehen und hob die Hände. Das ließ die Lampe zittern, die er hielt, was die Schatten nervös machte und zum zuckenden Tanz bat.
Die Frau war, noch immer halb benommen, dem vorigen stummen Befehl nachgekommen und zu Greider geschritten. Der setzte ihr den kalten Gewehrlauf auf die Brust. Zum ersten Mal drang ein Gefühl der Angst bis in ihren Verstand vor, und sie begann nicht nur vom Auskühlen ihres dünn bekleideten Körpers leicht zu zittern.
»Wir haben Geld«, wiederholte, fast verzweifelt, der Mann, der offenbar nicht verstand, was sonst ein solcher Überfall könnte bezwecken wollen – und der sichtlich nah dran war, trotz der vorherigen Warnung zu seiner Kasse zu laufen, die Lade aufzureißen und alles, was darin an Münze und Papier zu finden war, in den Raum zu schleudern.
Greider aber öffnete seinen Mantel und fasste mit der freien Hand hinein.
Der Krämer schluckte.
Doch was die Hand hervorzog, war keine zweite Waffe. Es war ein lederner Beutel.
»Ich will kein Geld von euch«, sagte Greider. »Ich hab’ welches für euch.«
Jetzt wich aller Ausdruck aus dem Gesicht des Krämers, jetzt hatte er so weit jegliches Verständnis verloren für das, was dieser Fremde wollte, der nachts in sein Haus eindrang und ihn und seine Frau bedrohte, dass nicht einmal mehr die üblichen Mienen der Verwirrtheit ihm dafür zur Verfügung standen. Jetzt packte ihn wie eine totenkalte Hand im Nacken die grausige Erkenntnis, dass die Bedrohung, die er da in seinen Laden gelassen hatte, keiner Vernunft, keiner bloßen Habgier gehorchte. Und er hatte ihr seine Frau in die Hände gegeben.
Greider sah seine Fassungslosigkeit mit erkennbarem Genuss. Er schaute vom Krämer zu der Frau und zurück und sagte dann zu beiden: »Ihr redet doch so gern, gegen Geld.«
Die Frau, deren Geist langsam wieder wach genug war, um zu begreifen, was der Gewehrlauf auf ihrer Brust bedeutete, war nur starr vor Angst, hatte jetzt keine Aufmerksamkeit mehr übrig für irgendetwas als die Waffe, die ihr in den Rippenansatz drückte – nicht für Worte, nicht für Gedanken. Aber in ihrem Mann keimte plötzlich ein Funke des Verstehens. Noch war er weit davon entfernt, ihn greifen zu können, aber es dämmerte die Ahnung, dass da eine Erklärung war und er sie schon längst in sich trug.
Greider ließ den Beutel in seiner Hand springen.
Und in diesem Augenblick kamen das wertvolle Klirren, das Gefühl der ohnmächtigen Angst, das Bild eines bewaffneten Mannes, der in seinem Laden stand – und vielleicht auch etwas durch die Generationen Halberinnertes, Weitergegebenes im Gesicht, in den Augen des Fremden –, kam das alles wie die Entladung eines Blitzes zusammen für den Krämer, und er stammelte: »Du … bist …«
Greider zog ironisch den Hut.
Und dann hatte auch die Frau verstanden. Sie begann am ganzen Leib zu bibbern.
»Ihr redet doch so gern, gegen Geld«, sagte Greider ein zweites Mal, und jetzt, da er wusste, dass die Bedeutung dieser Worte wirklich verstanden wurde, kostete er sie voll bedrohlichen Spotts aus.
Den Krämerleuten fiel keine andere Antwort ein als ein unwillkürliches, beschämtes Nicken.
»Dann redets. Dann erzählt’s dem ganzen Dorf, dass ich zum Brenner geh.«
Sie starrten ihn fassungslos an, jetzt offenbar vollends überzeugt, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben.
»Nicht umsonst!« beeilte Greider sich, als wäre der Grund für ihre Bestürzung die Befürchtung gewesen, diesen Dienst gratis leisten zu müssen.
Er nestelte mit einer Hand an der Kordel, die den Schlund des Beutels verschlossen hielt, und zog schließlich eine Goldmünze hervor.
Er hielt sie der Frau an die Lippen.
Sie schaute verständnislos.
»Du magst doch ’s Geld so gern«, herrschte er sie an. Das Spöttische war auf einmal ganz aus seiner Miene gewichen, und aus den tanzenden Schatten auf seinem Gesicht starrte ein Blick, der kälter funkelte als jedes Metall.
»Also. Friss«, befahl er.
Die Frau schüttelte verstört den Kopf, und ihr Mann schickte sich an, etwas einzuwenden, aber noch bevor er die erste Silbe hervorgebracht hatte, war die Mündung des Gewehrs plötzlich auf ihn gerichtet. Kaum hatte er seine Hände wieder halb erhoben, was die Laterne erneut schwanken ließ und den Raum in Schattenseegang versetzte, war die Mündung auf die Brust der Frau zurückgekehrt.
»Friss!« befahl Greider abermals und presste ihr das Geldstück zwischen die Lippen.
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