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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Handvoll Schnee. Und kroch leise zum Ausgang seiner Höhle.

XVI
    Am Morgen hatte es zu schneien aufgehört, aber zwischen die Sonne und die Welt hatte sich noch immer ein hoher, milchig durchscheinender Schleier geschoben. Statt eines Sonnenaufgangs gab es nur ein rosiges Aufleuchten über den Gipfelgraten, und dann nahmen Himmel und Schneedecke, wie einander spiegelnd, nach und nach wieder das teilnahmslose Weiß des Tages an.
    Kaum war die Stunde um, da an einem klaren Morgen die Sonnenscheibe über den Horizont geglost hätte, da öffnete sich die Tür des Brenner-Gehöfts. Drei Gestalten traten heraus, in dicke Felljacken gehüllt, mit Hüten auf den Köpfen. Sie schritten auf den Hof und blickten sich, die Landschaft sorgfältig absuchend, nach allen Seiten sichernd um.
    In ihren Händen trugen sie Gewehre – schwere, doppelläufige Flinten.
    Sie entdeckten nicht, worauf sie vorbereitet waren, und gingen, ein kleines Dreieck mit dem ältesten Brenner-Sohn an der Spitze bildend, weiter zum Gatter. Hier hielten sie wieder inne und schauten sich um. Doch immer noch war alles um sie herum menschenleer. Der Bärtige öffnete das Balkengatter und winkte seine beiden Brüder hindurch. Es waren dies der nach ihm Älteste und der Jüngste unter den noch Verbliebenen – die beiden Schnauzbärtigen, die sich auch sonst am ähnlichsten sahen, obwohl fünfzehn Jahre zwischen ihnen lagen.
    Sie traten auf den Pfad, der hinaus ins Tal führte. Der Bärtigehatte sichtlich kein ganz gutes Gefühl bei der Sache, doch seine Überzeugung von der eigenen Überlegenheit schien ihm das nicht zu nehmen. Er wirkte wie ein Mann, der eine etwas heikle Aufgabe zu erledigen hatte, sich aber sicher war, dass er sie zu einem vorteilhaften Ende bringen konnte – solange er nur achtgab, sich vor Überheblichkeit keine leichtsinnigen Fehler zu erlauben.
    Die Männer zogen das Dreieck etwas weiter auseinander und schritten – jeder einen anderen Winkel des Panoramas scharf im Auge behaltend – den Weg auf die Anhöhe zu. Nichts regte sich außer ein paar einsamen Vogelrufen.
    Alle paar Schritte blieben sie stehen, um auch hinter sich, zum Hof hin, Ausschau zu halten, obwohl sie dort nicht wirklich etwas zu entdecken glaubten. Denn unberührt erstreckte sich um sie die weiße Decke über die gesamte, große Mulde hinweg. Nur entlang des Wegs, dem sie selbst folgten, zogen sich die sanften Pockennarben einer einzelnen, halb verschneiten Spur. Und von wem diese stammte, wussten sie.
    Je weiter sie vorankamen, umso mehr befiel sie eine seltsame Mischung aus Triumph und Unwohlsein: Sollte den Fremden der Mut verlassen haben, sein Versprechen einzulösen? Hatte er sich irgendwo im Tal verkrochen, wo sie ihn unweigerlich aufstöbern und als jämmerlichen Feigling richten würden? Oder war seine Feigheit von anderer Art: Versuchte er, sie in einen Hinterhalt zu locken? Dass sie mit jedem Schritt in die Leere der Ebene hinein ein besseres Ziel abgaben, war ihnen nur zu bewusst. Darum hatten sie ja vorsorglich für eine Versicherung gesorgt, auch wenn sie der Aufforderung des Fremden, sich wie Männer gegenüberzutreten, nicht ausweichen wollten.
    Sie hatten etwa die Mitte der Senke erreicht, als sich plötzlich ihr vorsichtiges Spähen als überflüssig erwies: »He!«schallte es ihnen entgegen, und auf der Anhöhe war in der für den Weg geschlagenen Waldschneise mit einem Mal eine Gestalt erschienen. Es war der Fremde, auf seinem Maultier sitzend, der ihnen mit seinem hochgereckten Gewehr zuwinkte.
    Nach dem langen Lauern auf einen Hinterhalt, dem Suchen in jedem Schatten, in jeder Bewegung eines fernen Asts, kam jetzt gerade dieses offene Erscheinen so überraschend, dass sie einen Sekundenbruchteil brauchten, um sich zu fassen und darauf zu reagieren. Das ließ genug Zeit für den Fremden – sobald er gesehen hatte, dass sein Ruf sie erreicht hatte –, sein Gewehr an die Schulter zu nehmen und einen Schuss abzugeben, der ein paar Meter vor ihnen in den Schnee spritzte, noch bevor sie ihrerseits angelegt hatten. Als ihre Kugeln als Antwort in fast gleichzeitigem, dreifachem Krachen dorthin sausten, wo eben noch der Körper des Fremden war, hatte er schon die Zügel herumgerissen, seinem Maultier die Sporen gegeben und war wieder hinter der Hügelkuppe verschwunden.
    Der Jüngste schickte ihm noch die Ladung seines zweiten Laufs hinterher, doch der Bärtige rief ein barsches »Halt!«, bevor der andere es ihm gleichtun konnte. Es hatte keinen

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