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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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begleitet, ihn nach kurzem Überlegen als »unsern Wintergast« vorgestellt, und seither hatten ihn die Besorgungs-Aufträge der beiden öfters hierhergeführt. Er konnte nicht gerade behaupten, sehr herzlich empfangen zu werden, wann immer er die schmale Tür öffnete und die Klingel zum Schellen brachte, welche den Krämer aus dem Hinterzimmer rief. Der kleine Mann beäugte ihn missmutig, wenn Greider die Waren prüfte – als warte er jeden Moment darauf, dass dieser etwas beschädigen oder gar entwenden würde –, blickte Greider aber auch überheblich an, wenn der ihn um etwas Bestimmtes bat, als sei es eine Zumutung, ihm dies hervorholen, abwiegen, einpacken zu müssen. Etwas besser war es, wenn der Inhaber seine Frau bedienen ließ. Die erledigte alles mit einer unbeteiligten Schläfrigkeit, mit der sie ihr ganzes Leben hinzunehmen schien, und wurde nur wacher, wenn man ihr Geldstücke in die Hand zählte. Aber auch bei ihrem unleidlichen Mann hatte Greider das Gefühl, dass der ziemlich bald aufgehört hatte, ihn als außergewöhnlichen Fremden zu betrachten, und nur das Verhalten an den Tag legte, das er allen gegenüber zeigte, weil ihm jeder Kunde insgeheim wie ein Eindringling in seinem Laden erschien. Greider ertrug es gelassen, aber er beschaute sich das Paar genau, und er schien sich jede Herabsetzung, die ihr Verhalten ihm beizubringen suchte, im Gedächtnis zu notieren. Als gäbe es da noch eine andere Rechnung, die geführt wurde, und die nicht in Münze zu begleichen sein würde.
    In diesem engen Laden, wo der Schaden, den Greider bringen konnte, nicht größer schien als der aller anderen Käufer mit ihren gierigen Augen und Fingern, und wo der Nutzen, den er brachte, sogleich in Form des Geldes in der Kasse sichtbar wurde, vollzog sich schnell, was allmählich auch im Rest des Dorfs geschah. Greiders Anwesenheit an sich verlor ihr Interesse, es zählte nur noch, was er unmittelbar tat.
    Nach wie vor war das vor allem Zeichnen. Es war kalt geworden in der Hochebene. Seine ersten zwei, drei Wochen hatte Greider den Bergkessel noch oft erfüllt gefunden von einem hartnäckigen Nebel, der aus allem die Farben zu saugen schien und der manchmal erst mittags widerwillig der Sonne Durchlass gewährte. Doch diesem fahlen Dunst war es jetzt selbst zu ungastlich geworden, und an seiner statt bleichte in den frühen Stunden des Tages ein pelziger Raureif die Welt. Als wolle der Winter Maß nehmen für das weiße Tuch aus dickerem Stoff, das er bald über alles breiten würde. An manchen Tagen fiel auch schon der erste echte Schnee, in vorschnellen Flocken, deren fadenscheinige Decke spätestens am nächsten Mittag von den Strahlen einer zunehmend blassen Sonne zerschlissen und aufgetrennt wurde.
    Wenn Greider sich morgens auf den Weg machte, dann hinterließen seine Tritte nun Spuren, obgleich diese selten den Abend erlebten. Und diese Spuren führten immer öfter nicht nur ins Dorf hinein, sondern auch durch es hindurch, um es herum, weiter und weiter über es hinaus. Greiders Zeichenstift eroberte sich ein immer größeres Territorium. Im Ort gab es kaum mehr eine Gasse, ein Haus, deren Ansicht nicht zumindest skizzenhaft auf einem von Greiders Zeichenblöcken eingefangen war. Und nun hatte er begonnen, das Dorf aus einiger Entfernung festzuhalten, wie es dicht gedrängt und geduckt inmitten der Ebene lag. Er hatte die Kirche eingehend studiert, die etwas außerhalb gelegen von einer kleinenAnhöhe aus über die Ansiedlung wachte. Und auch zu einigen der einzeln liegenden Höfen war er schon mit seinem Maultier gezogen. Zudem hatte die Natur um die Ortschaft herum offenbar seine künstlerische Neugier geweckt, denn viele Blätter zeigten die mächtigen, das Hochtal einkreisenden Felsmassive – besonders jenen Zug, auf dessen höchstem Punkt das dunkle Gipfelkreuz prangte. Seit dem kleinen Jungen hatte Greider keinen Menschen mehr zum alleinigen Gegenstand seiner Zeichnungen gemacht, aber er hatte keine Scheu mehr, seine Szenen aus dem Tal mit Figuren zu bevölkern. Seine Bilder behielten lediglich weiterhin einen vorsichtigen Abstand zu den Leuten, kamen vor allem ihren Gesichtern nie so nah, dass der Einzelne sich zweifelsfrei hätte wiedererkennen können.
    Greiders Streifzüge durch die Welt des Tals wurden in jenen Tagen begleitet von den Geräuschen der Männer, die sich – nun, da auf den Feldern keine Arbeit mehr zu verrichten war und die Bäume ihren Saft schützend nach innen gesogen hatten –

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