Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
konnten.
Aber wie jeder Reiz des Neuen verflog auch dieser bald,und selbst ihre bescheidene Erfahrung mit Kunst sagte den Frauen, dass sie es bei diesen Blättern noch nicht mit richtigen Werken zu tun hatten. Und die Besonderheit des von den Skizzen Abgebildeten wollte sich ihnen erst recht nicht erschließen. So wenig Malerei sie kannten, so vertraut war ihnen seit Jahr und Tag all das, was auf Greiders Blöcken erschien.
Die abendlichen Blicke auf die Zeichnungen wurden schnell immer kursorischer, immer mehr schienen die Frauen mehr als auf Greiders Arbeiten darauf zu warten, dass diese den Tisch wieder freigaben für Essen und häusliche Tätigkeiten, und so begnügte man sich bald, ihn bei seiner Heimkehr einfach kurz berichten zu lassen, welchen Ort er aufgesucht und was er dort gezeichnet hatte.
Es war keinerlei Misstrauen unter Luzis Neugier, nur etwas Enttäuschung, als diese sich eines Abends traute zu fragen, wann Greider denn nun einmal ein »richtiges« Bild malen würde. Greiders belustigte Gegenfrage, was denn an seinen bisherigen Werken nicht richtig sei, war nicht ganz ehrlich, denn er musste ganz genau wissen, was die junge Frau meinte – auch wenn Greider ein Gemälde anders umschrieben hätte als Luzi, deren Erklärungsversuche nicht hinauskamen über »halt mit Farben«, um dann hilflos zurückzufallen auf »so a richtiges Bild halt«. Greider antwortete auf die ursprüngliche Frage schließlich mit einem bloßen »Bald«.
Aber ein paar Tage später sahen die Frauen ihren Gast mit Säge und Hammer hantieren, fanden in seinem Zimmer die Staffelei ausgeklappt und aufgestellt, und darauf dann einen offenbar frisch zusammengezimmerten Holzrahmen, den Greider mit einem Stück unberührter Malerleinwand bespannt hatte. Doch dabei blieb es fürs Erste. Nichts ließ erraten, welches – und ob überhaupt schon ein – Motiv dazuauserkoren war, auf dieser Leinwand zum »richtigen Bild« zu werden, und wann Greider vorhatte, mit dem Malen tatsächlich zu beginnen.
Vielleicht wollte Luzi sehen, ob sie in einer von Greiders weiteren Zeichnungen schon den Vorentwurf zu dem noch ausstehenden Gemälde würde erkennen können. Als jedenfalls Greider bei seiner Heimkehr ins Haus, starr in den Gliedern und das Gesicht brennend rot von der Kälte, auf die übliche Frage nach seinem Tag erzählte, er habe die Männer beim Holzhauen beobachtet, da wurde Luzi plötzlich neugierig und forderte ihn auf, seinen Zeichenblock in Augenschein nehmen zu lassen. Greider tat ihr gern den Gefallen, breitete ihr die Blätter zur Inspektion auf den Tisch in der Stube. Das Mädchen vertiefte sich aufmerksam wie kaum zuvor in deren Studium, beugte sich tief über die Zeichnungen, dass sie sie fast mit der Nasenspitze berührte und sich das Haar mit einer Hand zurückstreichen und im Nacken halten musste, damit die Locken nicht die Skizzen verdeckten. Sorgfältig ließ sie ihren Blick über die ganze Fläche eines jeden Blatts gleiten, wobei sie besonders eindringlich die dargestellten Figuren zu mustern schien. Ihre Mutter gesellte sich mit an den Tisch, aber offensichtlich weniger aus eigenem Interesse an Greiders Arbeiten als aus dem Wunsch, den unerwarteten Eifer ihrer Tochter zu ergründen. Sie hielt mehr Abstand zu den Bildern, schaute ebenso oft auf das Gesicht des Mädchens wie auf die Zeichnungen. Doch während die Witwe noch suchte nach etwas, das das Verhalten ihrer Tochter zu erklären vermochte, hatte Luzi bereits die gründliche Inspektion der neuen Arbeiten abgeschlossen und damit schlagartig ihren Eifer für die Zeichnungen verloren. Was immer sie in ihnen zu finden gehofft hatte, sie hatte es offenbar nicht entdeckt. Das richtige Bild, es war nicht darunter.
Luzi verlor an jenem Abend kein Wort mehr über Greiders Werke, und weder er noch ihre Mutter sprach sie auf ihre merkwürdige Neugier an. Dafür gab es anderes zu bereden. Seit zwei Tagen hingen schwere Wolken über dem Tal, die Sonne hatte sich nur als milchiger Schemen blicken lassen, die Luft war durchdrungen vom scharfen Geruch nach dem ersten großen Schnee. Alle waren sich einig, dass der Winter die Vorgeplänkel satthatte. Auf seinem Heimweg durchs Dorf, während bereits beständig einzelne Flocken niedertanzten, die zu dick geworden waren, um sich länger am Himmel zu halten, hatte Greider schon Blicke geerntet, die erst ihn fixierten, dann den schneeschwangeren Himmel. Und wenngleich die Gaderin sich förmlich verbog an diesem Abend, um es nicht
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