Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
Vom Netzwerk:
im Hangwald versammelten, um Holz zu machen. Der angebrochene Winter hatte seine hellhörige Stille über das Tal gelegt, die das Rauschen der Blätter, das Rufen der Vögel, die ganze Geschäftigkeit des übrigen Jahrs hochmütig abgestreift hatte, und so tönte jeder laute Klang von der Arbeitsstelle am Bergkesselrand klar und trocken widerhallend über die ganze Ebene. Die knappen, warnenden Rufe der Männer, hie und da auch ein kurzes Auflachen, das ächzende Brechen der Bäume und das hundertfache Ästeknicken ihres Falls, ihr dumpfes, lebloses Aufschlagen. Der heiser rasselnde Atem der Sägen. Und vor allem das Schlagen der Äxte, welches das Tal durchschallte wie das leicht stolpernde Tocken einer riesenhaften, hölzernen Uhr.
    An einigen Tagen stieg Greider auch das bewaldete StückHang hinauf bis zu der Lichtung, die die versammelten Männer mit ihren groben Werkzeugen gerade erweiterten. Er erntete ein paar abschätzige Blicke, als er aus dem dunklen Saum des Waldes heraustrat, aber die Männer waren zu beschäftigt – und Greiders Anblick ihnen inzwischen vertraut genug –, als dass man sich lange um ihn gekümmert hätte. Er hockte sich mit seinem Zeichenblock abseits auf einen älteren, von einer früheren Rodung übrigen Baumstumpf, wo er weder den Männern bei der Arbeit im Weg war, noch Gefahr lief, unter einen der umstürzenden Stämme zu geraten. Dort blieb er ein paar Stunden, seine Hände durch an den Fingern gestutzte Handschuhe zugleich warm und feinfühlig genug zum Zeichnen – und, wenn sie dennoch zu klamm wurden, durch ein in der Manteltasche geborgenes Blechbehältnis, in dessen Inneren ein Stück Kohle glimmte, wieder zur Geschmeidigkeit gebracht.
    Die Zeichnungen, die er in dieser Zeit anfertigte, schienen zunächst geprägt von einer Neugier auf den tatsächlichen Ablauf einer solchen Arbeit. Sie ließen erkennen, wie die Männer den nächsten zum Fällen geeigneten Baum ausguckten, wie sie ihn vorbereiteten, dann mit Äxten, Keilen und Stricken zum Stürzen brachten, wie sie ihn von seinen Ästen entkleideten und schließlich den nackten Stamm transportierten und zu den anderen stapelten. Aber mehr als auf allen Blättern Greiders aus den Wochen zuvor konnte man bei ihnen nun auch eine Genauigkeit in der Wiedergabe der Personen entdecken. Obwohl die Männer hier nur austauschbarer Teil einer gemeinschaftlichen Arbeit waren, hatte Greider jeder Gestalt auf diesen Zeichnungen in Proportionen, Haltung, Ausdruck genug Aufmerksamkeit gewidmet, dass man ohne Schwierigkeiten alle wiedererkennen konnte. Über die verschiedenen Zeichnungen verteilt hatte so fast jeder arbeitsfähige Mann aus dem Tal seine kleine künstlerische Studieerhalten – wenngleich manche von ihnen mit sichtlich mehr Interesse ausgeführt waren als andere. Die Söhne des Brenner Bauern jedenfalls, von denen jeder am einen oder anderen Tag seinen Teil bei der Arbeit half, waren mit einer ganz besonderen Sorgfalt getroffen.
    Die Bilder von der Holzstelle waren auch seit Längerem die ersten, die bei Greiders Gastgeberinnen wieder auf echtes Interesse stießen. Anfangs hatte er jeden Abend für die Witwe Gader und Luzi die Erträge seines künstlerischen Tagwerks auf dem Stubentisch ausgebreitet. Ein wenig war das wohl als Beweis seiner ehrlichen Absichten gedacht, seines tatsächlichen Vermögens als Maler und seines fleißigen Arbeitens. Aber im Haus der Gaderin war ihm das Misstrauen ohnehin niemals so entgegengeschlagen wie im übrigen Tal. Hier gab man Greider nie Anlass zu meinen, seine Worte brauchten äußere Bestätigung, um Glauben zu finden. So war die allabendliche Bilderschau auch mehr dazu gedacht, eine vermeintliche Neugier der beiden Frauen zu stillen auf das, was ihr unerwarteter Gast denn nun wirklich tat. Doch bald spürte Greider, dass diese Neugier nicht sonderlich groß war.
    Die ersten Tage war man tatsächlich noch gespannt, was es denn genau war hier oben, das einen Künstler für einen Winter aus seiner zweifelsohne viel reichhaltigeren und komfortableren Welt locken könne, und man bestaunte ausgiebig sein technisches Können. Denn auch wenn Greider bisher eigentlich nur Studien angefertigt hatte, die wenig erkennen ließen, was nicht zu den Fertigkeiten jedes Kunststudenten gehörte, war es für die beiden mit Malerei so unvertrauten Frauen allein schon eine Attraktion zu sehen, wie wenige, sichere Striche ein lebendiges Stück Wirklichkeit so treffend auf ein Stück Papier bannen

Weitere Kostenlose Bücher