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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Verstand zurückerlangte und begriff, dass sie am Leben war und in Freiheit. Um im nächsten Moment, übermannt, überflutet von Erleichterung, Erschöpfung und Trauer um jenen, der oben geblieben war, ins Schwarz der Ohnmacht zu tauchen, so schnell und tief, dass sie schon nicht mehr mitbekam, wie ihr Körper auf dem Feldweg niedersank.
    Der Ort, in den der überraschte Bauer sie gebracht hatte, war groß genug, dass dort ein Arzt wohnte. Und zu jenem hatte der einfache, aber gutherzige Mann sie transportiert, besorgt und verschüchtert, als wäre er als Finder dieser Unglücklichen für ihren Zustand verantwortlich. Er kehrte nicht zu seinem unterbrochenen Tagwerk zurück, bis nicht der Doktor ihm hoch und heilig versichert hatte, dass keine akute Gefahr bestünde – dass es sich offensichtlich lediglich um einen Fall völliger Entkräftung handelte. Und in den folgenden Wochen stattete er dem Herrn Medicus immer wieder Besuche ab, um sich über das Wohlergehen der Patientin zu erkundigen.
    Von Mal zu Mal durfte er Erfreulicheres hören. Die Frau kam schnell wieder zu Kräften. Körperlich fehlte ihr wenig, die Erschöpfung und die Schürfwunden waren durch die Pflege sehr bald Vergangenheit. Und nur nachts, wenn die Frau in Albträumen gefangen brüllte und rief, dass es bis in die Kammer des Doktors hallte, ließ sie sich unfreiwillig anmerken, dass sie keineswegs allem entkommen war, was sie hierher geführt hatte.
    Aber sie weigerte sich beharrlich, auch nur mit einem Wort darüber zu sprechen, was ihr widerfahren, wovor sie geflohen war. Minuten nachdem sie sich das erste Mal bei Bewusstsein allein gelassen in dem barmherzigen Bett fand, hatte sie die Schatten des Hochtals gefühlt, wie sie sich in ihrem Kopf ausbreiten wollten. Und da hatte sie entschieden – erstaunlich bewusst und sachlich, so wie man entscheidet, welche Beeren man von einem Strauch brockt und welche noch nicht reif sind –, eine Wand zu errichten zwischen sich und allem Vergangenen. Weil sie spürte, dass sie dessen Macht anders nicht gewachsen war, dass es ihren Geist und ihre Tage sonst auffressen, dass es ihr alles vergiften und schal machen würde. So beschloss sie, dass sie ihr Ich abschotten, dass sie jedes aufsteigende Bild jäh und gnadenlos niederkämpfenund fortsperren würde. Und dass sie also auch auf alle gut meinenden und mitfühlenden Fragen des Doktors nichts sagen durfte und konnte.
    Da sie aber auch keine Angaben machte über Heim und Familie, behielten der Arzt und seine Frau, die ihren unerwarteten Gast bald lieb gewonnen hatten, sie als Haushälterin bei sich. Sie dankte ihnen dies fleißig und redlich und ließ das Paar, das langsam in die Jahre kam, bald vergessen, dass es eigentlich nie wirklich Arbeit genug für eine Haushälterin gegeben hatte.
    Sie mochte die Arbeit im Haus. Hier konnte ihr Blick nie weiter als ein paar Schritt wandern, bis er auf eine Wand traf, weiß, fest und undurchdringlich. Wenn sie draußen war, dann schweiften ihre Augen. Dann wollten sie immer hin zum Berg, dann kletterten sie unweigerlich den Hang hinauf.
    Und blieben schließlich an dem fernen Gipfelkreuz hängen, das von hier unten nicht mehr war als zwei winzige Striche. Aber an klaren Tagen, da war sie überzeugt, dass dort noch etwas zu sehen war. Dass die Striche dicker und unregelmäßiger waren, als sie hätten sein dürfen, wenn es sich nur um nackte Holzbalken gehandelt hätte.
    Und da blieb sie oft stehen und schaute, und es fiel ihr schwer, sich loszureißen. An diesen Tagen war sie froh, wenn sie zurück war in ihrer engen Kammer und in jeder Himmelsrichtung nichts um sich hatte als Wände, Mauern.
    Sie war zwei Monate in jenem Dienst, der mehr wirkte wie eine Adoption, da nahm der Doktor sie zur Seite. Er stellte ihr ein paar Fragen, dann bat er, sie in ihrer Kammer näher sehen zu dürfen. Und so wurde ihr Gewissheit, was sie schon längst geahnt hatte: dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trug.
    Ein seltsames, tiefes, nachdenkliches Lächeln kam überihr Gesicht. Und wenige Tage darauf verkündete sie dem Doktor sichtlich schweren Gemüts, aber mit unbeirrbarer Entschlossenheit, dass sie den Ort verlassen müsse. Seine überraschten und besorgten Einwände musste sie zwar alle anerkennen, und sie vermochte als Grund für ihr Fortgehen nichts anderes zu nennen, als dass sie nicht wollte, dass ihr Kind hier, im Schatten dieses Berges zur Welt kommen und aufwachsen, dass ihr Kind diesen Berg je sehen würde. Stur

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