Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
heftig umarmt, dass es sie fast von den Füßen riss.
Was die Tochter ihrer Mutter ins Ohr sprach, das war nicht zu verstehen, so fest hielt sie ihren Kopf an den der Gaderin gepresst, die Arme um Schultern und Hals geklammert. Und vielleicht waren es sowieso keine wirklichen Worte, keine Sätze, die ein anderer hätte verstehen können.
Die genaue Aufklärung über die Ereignisse folgte, unter Greiders Mithilfe, etliche Tränen und Fragen, Seufzer und Beteuerungen später. Aber das Wichtige hatte die Witwe schon in diesen ersten Sekunden völlig begriffen.
Und ähnlich ihrer Tochter hatten sich Freude und Sorge gemischt, hatte eine Welle der Überraschung und der Gefühle die Frau erfasst und für eine Weile mit sich getragen. Aber dann hatte sie sich zusammengenommen und war zum selbenresoluten Resultat gekommen wie Luzi: Es war endlich an der Zeit zu kämpfen für das eigene Glück. Egal, welcher Erfolg diesem Kampf am Ende beschieden sein würde. Nur nicht länger mehr schon aufgeben, ehe er überhaupt begonnen hatte. Bevor noch einmal jemand ihre Luzi in die Hände bekommen sollte, der sie nicht verdiente, würde er es zuallererst mit der Gaderin aufnehmen müssen.
Freilich hatte sie sich dann von Greider dennoch überreden lassen, dass es unsinnig und unnötig war, sich vermeidbarer Gefahr auszusetzen – und dass es in dieser Nacht einen Ort gab, an dem sie und Luzi besser aufgehoben sein würden als in ihrem Haus. Vor allem aber sah sie ein, dass es noch einen Menschen gab, dem möglichst bald von der unerwarteten Rettung Luzis berichtet werden sollte – und der lebende Beweis der Erzählung in die liebenden Arme gelegt.
Die Gaderin brauchte nicht lange, um das Licht in der Stube zu löschen und das Haus zu versperren, und wenn das trotzdem nicht ganz so schnell ging wie eigentlich möglich, dann nur, weil die Frau es nicht sein lassen konnte, zwischendurch immer wieder Luzi zu streicheln, an sich zu drücken, ihr Zärtliches ins Ohr zu wispern, als wolle sie noch immer nicht ganz glauben, dass sie sich nicht jeden Augenblick wie ein Phantom in Luft auflösen würde.
Als Greider erwog, wie man die Mutter wohl am besten befördern mochte, lachte diese, wies auf die drei Reittiere für drei Personen und erklärte, dass sie so greise und gebrechlich nun auch nicht sei, wie Greider zu glauben schien. Luzi und Greider – der bereit blieb, herbeizuspringen und die Zügel zu greifen – blickten anfangs etwas besorgt über die ersten Versuche der Gaderin, das Ross unter ihren Willen zu zwingen. Aber bald stand dies brav neben jenem, auf dem die Tochter saß, und wartete auf den Abritt.
Greider schwang sich auf sein Maultier, das ihn mit einemfreudigen Kopfschütteln begrüßte. Dann gab er ein Zeichen zum Aufbruch. Er ließ die Frauen voranreiten, die aufrecht auf ihren Tieren saßen, entschlossen und stolz.
Auch beim Hof von Lukas’ Eltern drang Licht aus der Stube, ein bronzener Schein im Blauschwarz der Winternacht, dessen Wärme verleugnete, welch kalte Verzweiflung er in diesen Stunden beleuchtete. Aber anders als die einsame Gaderin hörten die Leute dieses Hofs, die zusammensaßen in ihrem Gram und versuchten, ihn sich gegenseitig leichter zu machen, nicht die sich nähernden Pferde.
Greider und die beiden Frauen ritten durch das Tor zum Hof, stiegen ab und banden die Tiere an, schritten bis zur Tür, ohne dass sich etwas regte in dem Haus. Kurz waren sie unentschlossen, wer von ihnen auf ihr Ankommen aufmerksam machen sollte, wer sich als Erster dem Öffnenden präsentieren. Dann klopfte Greider drei Mal knöchern dröhnend an und trat dann zusammen mit der Gaderin einen Schritt hinter Luzi, der sie den ersten Platz auf der Schwelle gewährten.
Man hörte drinnen Stimmen sich regen, überraschte Ausrufe. Dann näherten sich Schritte, mehrere, schwere Paar. Man traute offenbar dem späten, unangemeldeten Besuch nicht.
Luzi, die einen Moment zuvor noch strahlte wie ein Kind, das gleich den festlich geschmückten Christbaum sehen darf, begann leicht zu zittern, und ihr Lächeln musste kämpfen, dass es nicht von der Nervosität herabgezogen wurde.
Dann öffnete sich die Tür durch die Hand des Bauern, hinter dem Lukas und ein Knecht standen. Die drei Männer schauten abweisend, bereit, jeden Störer vom Hof zu werfen, und ihre Mienen wurden nur noch unwirscher dadurch, dass sie gezeichnet waren von schweren Stunden zuvor. Als sie aber sahen, wer da auf der Schwelle stand, klappten ihnen
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