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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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solchen Anspruch. Dass er es hier nicht getan hatte, bedeutete, dass für ihn hier ein höheres Gesetz in Kraft getreten war - ob es allerdings Freundschaft, Mitleid, earbsachd oder etwas anderes war, wusste ich nicht. Er war stehen geblieben und wartete auf mich.
    »Warum hast du dich entschlossen, Josiah zu helfen?«, fragte ich unverblümt, während wir uns unseren Weg über das verkommene Maisfeld bahnten, das vor dem Haus lag. Trockene Stängel knickten unter den Hufen der Pferde um, und auf der Laubschicht glitzerten Eiskristalle.
    Jamie setzte den Hut ab und legte ihn vor sich auf den Sattel, um sich das Haar zusammenzubinden, bevor er sich in Gesellschaft begab.
    »Nun, ich habe zu ihm gesagt, dass ich seinen Entschluss respektiere, wenn er fest steht. Dass wir ihn aber von der Narbe an seinem Daumen befreien müssten, wenn er nach Fraser’s Ridge kommen will, ob allein oder mit seinem Bruder, weil sie sonst für Gerede sorgen und Beardsley davon erfahren würde und wir die Konsequenzen tragen müssten.«

    Er atmete tief ein und wieder aus, und ein weißes Wölkchen umschwebte seinen Kopf, dann drehte er sich um und sah mich mit ernstem Gesicht an.
    »Der Junge hat keine Sekunde gezögert, obwohl er schon einmal gebrandmarkt worden war und Bescheid wusste. Und ich sage dir, Sassenach - ein Mann mag einmal eine Verzweiflungstat aus Liebe oder Courage begehen... aber es gehört mehr als das dazu, wenn man es schon einmal getan hat und verdammt gut weiß, wie es sich anfühlen wird, es erneut zu tun.«
    Er wandte sich ab, ohne meine Antwort abzuwarten, und ritt auf den Hof, wo er eine Schar Futter suchender Tauben aufscheuchte. Er saß aufrecht auf seinem Pferd, seine Schultern breit und gerade. Von dem Netz aus tiefen Narben, das seinen Rücken unter dem Umhang überzog, war keine Spur zu sehen, aber ich wusste genau, dass sie da waren.
    Das war es also, dachte ich. Wie das Spiegelbild im Wasser ist gegenüber dem Angesicht, also ist eines Menschen Herz gegenüber dem anderen. Und das Gesetz der Courage war dasjenige, nach dem er schon am längsten lebte.
     
    Auf der Veranda hockten mehrere Hühner, die sich zu Kugeln aufgeplustert hatten und uns mit ihren gelben Augen verächtlich betrachteten. Sie murmelten mürrisch vor sich hin, als wir abstiegen, doch sie froren zu sehr, als dass sie zu mehr in der Lage gewesen wären, als widerstrebend von uns fortzuschlurfen und ihr sonniges Plätzchen aufzugeben. Mehrere Dielen der Veranda waren durchgebrochen, und der Hof war mit halb gehobelten Holzstücken und verstreuten Nägeln übersät, so als hätte jemand vorgehabt, sie zu flicken, aber noch keine Zeit gefunden, sich darum zu kümmern. Die Reparatur wurde schon seit einiger Zeit aufgeschoben, dachte ich; die Nägel waren verrostet, und die frisch gesägten Bretter hatten sich vor Feuchtigkeit verzogen und Risse bekommen.
    »Hallo, im Haus!«, rief Jamie und hielt mitten auf dem Vorplatz an. Dies war die allgemein übliche Etikette, wenn man sich einem fremden Haus näherte; die meisten Leute in den Bergen waren zwar gastfreundlich, aber nicht wenige betrachteten Fremde mit Argwohn und wickelten die Begrüßungsformalitäten mit vorgehaltener Büchse ab, bis sie sich von der Vertrauenswürdigkeit des Besuchers überzeugt hatten.
    Da ich dies wusste, hielt ich vorsichtig Abstand von Jamie, achtete jedoch darauf, dass ich zu sehen war und breitete demonstrativ meine Röcke aus und strich sie glatt, um gleichzeitig mit meinem Geschlecht auch unsere friedlichen Absichten kundzutun.
    Verdammt, ein kleines Loch hatte sich in den braunen Wollstoff gebrannt, zweifellos von einem umherfliegenden Funken des Lagerfeuers. Ich verbarg die verbrannte Stelle in einer Falte des Rockes, während ich darüber nachdachte, wie seltsam es doch war, dass man Frauen automatisch als harmlos betrachtete. Wäre mir danach gewesen, hätte ich mich problemlos in der ganzen Gegend als Einbrecherin betätigen und arglose Familien meucheln können.
    Glücklicherweise hatte ich jedoch noch nie den Impuls verspürt, dies zu tun, wenn mir auch schon dann und wann die Erkenntnis gekommen war, dass der Hippokratische Eid mit seinem Versprechen, niemandem Schaden zuzufügen, sich möglicherweise nicht ausschließlich auf medizinische Vorgänge bezog. Ich hatte schon mehr als einmal den Impuls verspürt, einem meiner uneinsichtigeren Patienten ein Holzscheit über den Schädel zu ziehen, doch bis jetzt war es mir stets gelungen, das Bedürfnis im

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